»Richard Strauß und sein Publikum. Telegr. unseres Sonderberichterstatters«
in: Berliner Lokal-Anzeiger. Zentral-Organ für die Reichshauptstadt, Jg. 27, Heft 45, Dienstag, 26. Januar 1909, 1. Ausgabe: Morgenblatt, S. 2

relevant für die veröffentlichten Bände: I/4 Elektra
Richard Strauß und sein Publikum.
Telegr. unseres Sonderberichterstatters.
Dresden, 25. Januar.

Wenn für die Größe des Erfolges die Anzahl und die Wärme der Hervorrufe ein Maßstab ist, dann hat Richard Strauß mit seiner »Elektra«, aber auch das Dresdener Hoftheater einen großartigen Erfolg errungen, dessen merkbarer Ausgangspunkt und dessen Höhepunkt die Erkennungsszene zwischen Elektra und Orestes bildete. Mit den Hauptdarstellern Annie Krull, Ernestine Schumann-Heink, Margarete Siems und Karl Perron erschien Strauß nach dem dritten Hervorruf auf der Bühne. Er applaudierte dem Orchester, und dieses war das Signal zu stürmischen Rufen nach Schuch, der nun immer und immer wieder mit Strauß, der dem Dirigenten seines Werkes durch Umarmung auf der Bühne dankte, erscheinen mußte. Es gab über ein Dutzend Hervorrufe. Mindestens ein zwölftel Dutzend hätte jedoch dem Dichter der »Elektra« Hugo von Hofmannsthal gebührt, der mit seiner jungen Gattin der Vorstellung beiwohnte und an den niemand der Rufer zu denken schien.

Generalintendant Graf Seebach hatte den Büfettsaal des Hoftheaters zu einem Telegraphensaal umwandeln lassen, und hier, wo die aus Frankreich, England, Oesterreich, Italien und Amerika – der Pariser Figaro hatte den Komponisten Pierre Lalo [sic] entsandt – herbeigereisten Kritiker zusammengekommen waren, erkennt man am deutlichsten das internationale Interesse, das man dieser Aufführung entgegenbrachte und das sich auch im Zuschauerraum widerspiegelte: ein Extrakt des Premierenpublikums aller Hauptstädte. In den Logen Prinz und Prinzessin Thurn und Taxis, geborene Fürstin von Hohenlohe, sowie die in der Berliner Gesellschaft viel gefeierte Prinzessin Max von Thurn und Taxis, geborene Metternich, mit ihrem Gemahl, dann Prinzessin Polignac aus Paris, Graf und Gräfin Louis Moltke aus Paris, Prinzessin Schönburg-Waldenburg, geborene Prinzessin von Wittgenstein, der kaiserliche Flügeladjutant Oberst von Chelius u. a. m. Ueberall bekannte Gesichter, die man namentlich aus Berliner Premieren kennt. In der Geheimrat Lingnerschen Loge sitzen Dr. James von Bleichröder und Professor Heinrich Grünfeld, in einer Parkettloge Direktor Reinhardt mit seinem getreuen Felix Holländer und seiner Elektra Marie [sic] Eysoldt. Theater, Musik, Literatur und Wissenschaft, sie haben ihre Vertreter entsandt. Exzellenz Speidel, der Generalintendant der Münchener Hoftheater, Freiherr von Schirach, der Weimarische, Hagemann, der Mannheimer Intendant, Assessor Borgmann, der Intendant des Wiesbadener Kurhauses, die Direktoren Angelo Neumann (Prag), Bachur (Hamburg), Volkner (Leipzig), Hermann Bahr, Prof. Gustav Holländer, Felix Salten, Hofkapellmeister Schalk von der Wiener Hofoper sowie Kapellmeister und Opernregisseure der verschiedensten Theater sitzen in den Logen, im Parkett, ja selbst im dritten Rang.

In der Hofloge an der Bühne hatte Prinz Georg von Sachsen, der Bruder des Königs, mit seiner Gemahlin Platz genommen. In diesem Zuschauerraum, der heute ein so vornehmes gesellschaftliches Schauspiel bot, verkörperte sich das Ansehen der deutschen Kunst, die Bedeutung eines deutschen Künstlers. Denn in welchem Lande lebt heute ein Komponist, dessen künstlerische Schöpfungen alle Kulturnationen so in Spannung halten, wie die von Richard Strauß? Das hat heute die »Elektra«-Premiere offenbart.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Sebastian Bolz, Adrian Kech

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42585 (Version 2021‑09‑30).

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