Sie betrachten gerade die aktuelle Version 2017-03-31 dieses Dokuments.

Niggli, A.
[ohne Titel]
in: Schweizerische Musikzeitung und Sängerblatt. Organ des Eidgenössischen Sängervereins, Jg. 33, Heft 3, Mittwoch, 15. Februar 1893, S. 31

relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth
Rich. Strauss: op. 23, Macbeth, Tondichtung für grosses Orchester, op. 24, Tod und Verklärung für grosses Orchester. Beides in vierhändigem Klavierauszug. München, Jos. Aibl.

Dass das Klavierarrangement der genannten symphonischen Dichtungen nur ein schwaches Bild von der Farbenpracht, aber auch dem reichgegliederten Detail und den dramatischen Steigerungen gibt, welche die Orchesterpartituren des genialen Komponisten auszeichnen, liegt auf der Hand. Immerhin möchten wir Allen, die sich um die Entwicklung des Künstlers interessieren und überhaupt Sinn für grossangelegte Tongemälde besitzen, dringend empfehlen, die Klavierauszüge, welche L. Thuille und Otto Singer mit musterhafter Sorgfalt bearbeitet haben, zur Hand zu nehmen, da das Verständniss der Werke dadurch wesentlich erleichtert wird, dieselben aber auch in dieser Gestalt dem denkenden Spieler Anregung und Genuss die Fülle bieten. Den heroischen Charakter des Ganzen, den verzehrenden Ehrgeiz, der Macbeths Seele beherrscht, aber auch das Grauen, das seine aufgeregte Phantasie umwittert, malt gleich der Eingang des nach diesem Helden betitelten Tongedichtes vorzüglich. Von der Stelle auf Seite 6 und 7 an, wo die fürchterliche Lady die Flammen in der Brust des Mannes schürt, lodert ihre Glut immer wilder empor und nur auf kurze Zeit lichtet sich die schwüle Atmosphäre, um uns das Bild des Friedens und der Herzensreinheit zu zeigen, das der ahnungslos in die Burg einziehende Dunkan darstellt. Von ergreifender Schönheit ist der Schluss der Komposition, wo die Bläser leise wie von vornher ihre Siegesfanfaren ertönen lassen und sich die breitausgelegten Akkorde wie eine Engelschaar auf himmlischen Wolken lagern. -- Noch bedeutender und auch das Ohr ansprechender als die leidenschaftlich düstere, rhythmisch eigenartig zerhackte Macbeth‑Phantasie finden wir das »Tod und Verklärung« betitelte Werk, welches bekanntlich beim letzten rheinischen Musikfest in Köln einen glänzenden Erfolg errang. Das Programm des Ganzen enthält das der Musik vorangestellte Gedicht. Die abgebrochenen Pulse, die gleich im Anfang auftreten, symbolisieren den Herzschlag des Kranken, der in seiner ärmlichen Kammer erschöpft in Schlaf versunken ist. Im Fiebertraum sieht er dann sein Leben noch einmal an sich vorüberziehn [sic] von der Kindheit unschuldigen Spielen hinweg bis zum freudigernsten Männerkampf, aber auch zum Schmerzenslager, das den gebrochenen Körper fesselt. Schon umflort Todesnacht sein Auge, aber zugleich ertönt ihm vom Himmel entgegen, was er mit rastloser Sehnsucht gesucht: »Welterlösung, Weltverklärung!« Diesen verschiedenen Stimmungs‑ und bezw. Daseinsstadien entsprechen hier musikalische Themen, die an melodischer Schönheit und Prägnanz ihres Gleichen suchen. Wir machen insbesondere den reizenden Gesang namhaft, welcher der Kindheit Morgenrot illustriert, ferner den das Jünglingsstadium bezeichnenden, keck auftretenden Es‑Dur‑Satz, vor Allem aber den wundervollen Hymnus aus C‑Dur, der sich am Schluss des Tongedichtes erhebt und nach erhabenem Aufschwung wie feierlich milder Glockenklang verhallt.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42623 (Version 2017‑03‑31).

Versionsgeschichte (Permalinks)