Pl[atzbecker], H[einrich]
»Die neue ›Salome‹ im Opernhause«
in: Sächsische Staatszeitung. Staatsanzeiger für den Freistaat Sachsen, Heft 237, Freitag, 10. Oktober 1930, S. 2–3

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3b Salome (Weitere Fassungen)
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Die neue »Salome« im Opernhause.

Zur Erinnerung an die Dresdner Uraufführung der »Salome« vor nahezu 25 Jahren ist gestern das farbenfunkelnde Werk in neuer Einstudierung gegeben worden, die Richard Strauß selbst betreute[.] Die Bedeutung gerade dieser von heißer Glut und südlich-orientalischer Leidenschaft durchpulsten Kurzoper für die Entwicklung des Komponisten und der ganzen modernen Musik ragt als Standwerk bis in unsere Zeit hinein. Frisch wie am ersten Tage! 1905 stand die unerhört kühne und machtvoll packende Neuheit im Zenit des Glanzes und brachte ihrem Schöpfer Weltruf. Stets hat Strauß in seine Zeit hineingehorcht, damals wurde er zum Propheten der Moderne. Mit einem Schlage überwand er die Tradition und zeichnete in grellem Kolorit alles, was an Perversität aus dem »Fin de siècle« in das neue Jahrhundert hineingeraten war. An diesem Markstein der deutschen Oper sind mittlerweile die »Zeitlinien« unscharf geworden, weil sich die Dinge um uns und in uns gewaltig verändert haben, aber das Denkmal als solches hat kaum etwas von seiner Eindruckskraft eingebüßt.

In Dresden haben wir überaus zahlreiche Vertreterinnen der Titelrolle kennengelernt, von den Sängerinnen Wittich und Krull über Aino Akté, Barbara Kemp, Aline Sanden, Gerta [?] Barby, Gutheil-Schoder usw. bis zu der letzten hochragenden Meisterin Eva Plaschke-v. der Osten. Jetzt ist die Partie Maria Rajdl übertragen worden, der durch die Aithra u. a. m. die Anwartschaft auf diese schlangenhafte Orientalin zufallen mußte. Frau Rajdl betont das Kindliche in der jungen Teufelin, die mit den weiblichen Listkünsten der verderbten Mutter Herodias ihren trotzigen Willen durchsetzt. Man kann um diese Auffassung streiten, doch hatte die grazile Sängerin eins für sich. Die Konsequenz in der Durchführung der Absichten und die reizvollen Momente, mit denen sie auch Nebensächliches ausstattete. Hauptsache bleibt aber doch [3] stets der Gesang. Da versagte häufig die Tonfestigkeit der Mittellage. In der Höhe waren glückhafte Treffer zu bemerken. Der Tanz der sieben Schleier litt jedoch dadurch, daß eine Steigerung durch ein »Zuviel« an Gebärden im ersten Teile für den weiteren Verlauf unmöglich wurde. Alles in allem, mehr Kätzchen als Katze, mehr Soubrette als dramatische Sängerin! Vielleicht empfiehlt sich bei dieser Besetzung der Hauptrolle die Übersiedelung des Werkes in das Schauspielhaus, wie beim »Intermezzo«! Richard Strauß hatte übrigens Frau Rajdl zuliebe manches punktiert und im übrigen das Orchester entsprechend gedämpft, um dem Medium der Stimme größere Deutlichkeit zu verschaffen. Hier und da erkannte man infolgedessen den gewohnten Vollklang des Orchesters, das in dieser dramatischen Tondichtung Hauptfaktor sein muß, nicht wieder.

Die Übrigen Mitwirkenden verdienen uneingeschränktes Lob, in erster Linie Frau Burkhardt als Herodias und Fritz Soot (Berlin) als der an Burrians Leistung nahe heranreichende Vertreter des Herodes. Burgs asketischer Jochanaan lebte sich auch in stahlharter Tongebung aus, die an den lyrischen Stellen jedoch herzwarmen Ausdruck fand. Martha Fuchs (Page) und Max Lorenz (Narraboth), W. Bader (Soldat) und Kurt Böhme (Nazarener) sowie die Vertreter der fünf Juden von Teßmer bis Ermold sind gleichfalls ehrend zu nennen[.] Meisterlich war die Inszenierung Dr. Otto Erhardts, der das Werk im Sinne einer modernen Einstellung und aus den Schönheiten der Partitur heraus sorgsamst vorbereitet hatte.

Am Schlusse war der Beifall lebhaft, er weitete sich zu außergewöhnlichen Huldigungen, als der dirigierende Komponist auf der Bühne erschien, um für sich und seine Helfer, besonders die Staatskapelle, zu danken.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42659 (Version 2021‑09‑29).

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