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Heinrich Platzbecker
»Salome, Drama in einem Aufzuge nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung in deutscher Übersetzung von Hedwig Lachmann. Musik von Rich. Strauss. Uraufführung im Kgl. Opernhause zu Dresden am 9. Dez.«
in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 101, Jg. 72, Heft 51, Leipzig und Berlin, Mittwoch, 13. Dezember 1905, Rubrik »Korrespondenzen. Dresden«, S. 1065–1067

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome
[1065]
Salome, Drama in einem Aufzuge nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung in deutscher Übersetzung von Hedwig Lachmann. Musik von Rich. Strauss. Uraufführung im Kgl. Opernhause zu Dresden am 9. Dez.

»Die Musik kann nie und in keiner Verbindung, die sie eingeht, aufhören, die höchste, die erlösende Kunst zu sein. Es ist dies ihr Wesen, dass, was alle anderen Künste nur andeuten, durch sie und in ihr zur unbezweifeltsten Gewissheit, zur allerunmittelbarst bestimmenden Wahrheit wird. Sie ist allein des ihr eigentümlichen Ernstes wegen so keuscher, wunderbarer Art, das [sic] alles, was sie berührt, durch sie verklärt wird.« Diese Worte, die Rich. Wagner in seinen »Ges. Schr.« [»Gesammelten Schriften«] den symphonischen Dichtungen Franz Liszts widmet, wollen mir nicht aus dem Sinn. Wer hätte die Wirkung ahnen können, die Rich. Strauss[’] »Salome« bei ihrer Uraufführung ausübte! Nicht aus dem Studium des Klavierauszuges, nicht einmal nach der Generalprobe liessen sich diese zwingenden und erschütternden Eindrücke voraussagen. Die Uraufführung am Sonnabend stand in ihrer Geschlossenheit hoch über der Vor-Vorstellung am Donnerstag und dürfte in ihrer künstlerischen Vollendung kaum von irgend einer deutschen Bühne übertroffen werden. Man steht im Banne dieser blühenden Orchestermalerei, dieser Illustrationsmusik par excellence, und man fühlt sich gefeit gegen den schwülen Gifthauch, der aus der Wildeschen Dichtung uns entgegenströmt. Man lässt sich willig von dem Klangzauber umstricken und vergisst die grausigen Perversitäten in dem Liebesrausche der unreifen Herodiastochter und das verpestete Milieu am Hofe des degenerierten Despoten. Das Strausssche Musikdrama liesse sich mit einem wunderschönen Granatapfel vergleichen, dessen glänzende Aussenseite nicht entfernt ahnen lässt, was sein Inhalt birgt. Die glänzende Aussenseite der Musik ist aber bei Strauss echtes Gold, die geniale Schöpfung eines unserer bedeutendsten Tondichter, ein Kunstwerk ersten Ranges. Sie charakterisiert sich als ein symphonisches Tongemälde, als ein musikalisches Triptychon, dessen programmatische Überschriften Salome, Herodes und Jochanaan heissen. Von vornherein fällt die motivische Arbeit (Vergl. die Notenbeispiele) auf, die konsequent durchgeführt ist und Strauss wiederum als Meister der Orchestermalerei zeigt, als welchen wir ihn aus seinen früheren Kompositionen, nicht zuletzt aus seiner »Feuersnot« kennen. In der »Salome«, deren ganzer Aufbau jedoch von dem vorgenannten »Singgedicht« grundverschieden ist, erklingen die Motive in der Originalfassung, oder harmonisch verändert, je nachdem die Illustration der Textworte oder der Situation es erfordert. Hierdurch wird eine Ausdrucksmöglichkeit der Musiksprache erzielt, die vielleicht die Szene entbehrlich machen würde, vorausgesetzt, dass der Zuhörer mit den Details des programmatischen Inhaltes vertraut wäre. Die Musik mildert manches Grausige oder hebt es auf eine höhere künstlerische Stufe. Die hysterische Frühreife der Salome, ihre krankhaft sinnliche Überreizung, die auch in ihrer erblichen Belastung begründet ist, lässt sie von einem Extrem ins andere fallen. Und deshalb weist auch die musikalische Zeichnung der Salome starke Gegensätze auf, da wo sie von der süssen Luft und der Natur schwärmt, wo sich ihre sinnliche Begierde zum ersten Male regt, wo sie sich steigert zur ekstatischen Liebesraserei und wollüstigen Rachsucht. Diese musikalischen Klangbilder kristallisieren sich in der Person Salomes. Ganz anders ist die Perversität des Herodes gezeichnet. Der Tetrarch leidet infolge körperlicher und seelischer Zerrüttung und übermässigen Weingenusses an Wahnvorstellungen, die musikalisch vorwiegend durch krasse Dissonanzen geschildert sind, (Charakteristisch ist das öftere Wiederkehren der Skala ohne halbe Töne) ausgenommen die Momente, wo er den Propheten in Schutz nimmt und wo er Salome umschmeichelt. Grundverschieden von den beiden Vorgenannten erscheint Jochanaan, der Vorläufer Christi, die Verkörperung des ethischen Prinzips, im Lichte der Straussschen Musik. Die Motive des Jochanaan sind weder rhythmisch noch harmonisch verzerrt. Es ist warmblütige, diatonische Melodik mit psalmodierende[m], oratorienhaftem Einschlag. Sie atmet Wohllaut, lilienhafte Reinheit und gläubige Frömmigkeit. Um dieses »symphonische Triptychon« gruppieren sich noch andere Zeichnungen und Arabesken, aus denen das hartnäckige chromatische Motiv der Herodias, das zänkische Triolen-Motiv der fünf Juden und das schmachtende Liebesmotiv des unglücklichen Narraboth sich besonders abheben. Überschaut man nun dieses geniale Tongemälde im ganzen und verweilt bei einzelnen Stellen in längerer Betrachtung, so leuchten seine besonderen Schönheiten in malerischen Klangfarben auf. Wundervoll im Kolorit und in der Schilderung der Gegensätze ist das Erscheinen des Jochanaan vor Salome getroffen, ferner die Szene zwischen beiden, dann der Abgang und Fluch des Propheten, die unheimliche Resignation der Salome mit der Überleitung zum Auftreten des Herodes und seines Gefolges. Dieser Abschnitt bildet den ersten Höhepunkt des Werkes, dem das meisterhaft gelungene Tanzbild und der in seiner grandiosen Steigerung überwältigende Schluss ebenbürtig gegenüberstehen. Wo viel Licht ist, ist auch Schatten. Es finden sich verschiedene Längen vor, ferner wird die Stimmung zeitweilig durch derb possenhafte Züge, wie das laute Gezänk der Juden u. a. m. verschoben. Zwar gelingt es dem Komponisten, die Stimmung sehr bald wieder herzustellen, allein manches haftet doch wie ein unauslöschlicher Flecken auf dem farbenglitzernden Bilde. Rich. Strauss beansprucht ein Orchester von 110 Musikern, darunter 60 Streicher (16 erste Geigen). Er verwendet ausser den in modernen Partituren sich vorfindenden Instrumenten, einschliesslich Harmonium und Orgel, das Heckelphon und die Celesta. Das Heckelphon, dessen Erfindung auf eine Anregung Rich. Wagners zurückzuführen ist, steht eine Oktave tiefer als die Oboe (tiefster Ton das kleine h); es erscheint weicher und edler in der Klangfärbung als Oboe, Englisch Horn und Fagott, ohne denselben an Kraft und Fülle nachzustehen. Strauss erzielt neuartige Farbenwirkungen im Orchester, indem er das Heckelphon zur Unterstützung des Cello oder anderer Instrumente verwendet, so beispielsweise in der Szene zwischen Salome und Jochanaan, dann zur Illustration der Enthauptung des Propheten, hier im Verein mit dem Kontrabass (Flageolet b1) u. s. w. Die Celesta, ein kleines klavierähnliches Instrument[,] klingt in der Höhe wie weiches Glockenspiel und ist hier von besonders zartem Timbre. Die dem Harfentone ähnliche Tiefe dagegen wirkt trocken. An sich ist die Resonanz ziemlich schwach, so dass die Celesta im allgemeinen Orchesterklange nicht sonderlich auffällt. – Wir lassen im Folgenden die Hauptmotive folgen:

[1066] A. Motive der Salome.

1)

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3)

4)

5)

6)

7)

8)

Tanzmotive der Salome (ausser den bisher angeführten, besonders 7 und 8).

1)

2)

3)

4)

5)

etc.

B. Motive des Herodes.

1)

2)

C. Motiv der Herodias.

D. Motiv der Juden.

E. Motiv des Narraboth.

F. Motive des Jochanaan.

1)

[1067] 2)

 

3) 

Die Aufführung bildet ein neues Ruhmesblatt in der Geschichte der Dresdner Hofoper. Die Palme gebührt der Königl. Kapelle, die spielend in des Wortes vollster Bedeutung die ungeheuren Schwierigkeiten bewältigte. Frau Wittich war mehr Isolde als Salome, aber dadurch gewann die Titelpartie jene poetische Verklärung, die Wagner der Musik nachrühmt. Ihre unvergleichliche Gesangskunst milderte das Widerlich-Abstossende der Schlussszene und liess alle Perversitäten der Dichtung vergessen. Ein vollkommen fertiges, bis auf den letzten Pinselstrich charakteristisches Bild stellte Herr Burrian als Herodes hin. Man wird vergeblich nach einem Tenoristen suchen, der ihm den Gesangpart in gleicher Vollendung nachsingt. Herr Perron (Jochanaan) stattete den Sendboten Christi mit sittlichem Ernste und hoheitsvoller Grösse aus. Den ihm zufallenden Gesangsstellen verlieh sein machtvolles Organ die Kraft von Donnerworten; der [sic] weiche Timbre der Stimme kam andererseits den von milder Warnung erfüllten Stimmungsmomenten vortrefflich zu statten. Die übrigen Partien waren gleichfalls mit ersten Kräften besetzt, von denen Frl. v. Chavanne als Herodias, Herr Jäger als Narraboth, Frl. Eibenschütz als Page und Herr Rüdiger als Anführer der Juden genannt seien. Über dem Ganzen als musikalischer Generalissimus stand Herr von Schuch, der seine Künstlerschar »unten« wie »oben« zu glänzendem Siege führte. Nach Dresden wird zunächst Leipzig die »Salome« bringen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Bibliographie (Auswahl)

  • Auszug in Franz Messmer (Hrsg.), Kritiken zu den Uraufführungen der Bühnenwerke von Richard Strauss (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 11), Pfaffenhofen: Ludwig, 1989, S. 41–44.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42689 (Version 2019‑05‑27).

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