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W. Fr.
[ohne Titel]
in: Neues Wiener Tagblatt. Demokratisches Organ, Jg. 26, Heft 12, Dienstag, 12. Januar 1892, Rubrik »Theater, Kunst und Literatur«, S. 5

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Konzerte.

Dem Publikum der philharmonischen Konzerte ward in dem Konzerte vom vergangenen Sonntag eine pikante Ueberraschung zutheil. Nach der lieblichen, in ihrer Anspruchslosigkeit so reizenden F-dur Serenade Volkmann’s kam das musikalische Charakterbild: »Don Juan« von Richard Strauß zur erstmaligen Aufführung. Wien hat diesen Komponisten bisher nicht gekannt und stand wenigstens seinem Taufnamen, vollkommen ferne. Im Jahre 1864 zu München geboren, wirkte Richard Strauß zuerst als Kapellmeister in Meiningen und lebt und komponirt seit einigen Jahren in Weimar und gehört ganz und gar jener Schule an, die über Berlioz und Liszt noch hinausgehend, das ganze Heil im Prinzipe der Programmmusik und in einer möglichst grellen Instrumentation sucht und findet. In den Konzertsälen Deutschlands ist Richard Strauß durchaus nicht mehr fremd. Mehrere seiner Symphonien und symphonischen Dichtungen, so auch »Aus Italien«, fanden im Allgemeinen eine günstige, bei einem Theile der jüngeren Generation sogar stürmische Aufnahme. Als aber die symphonische Dichtung: »Tod und Verklärung« mit den exzessivsten Mitteln der Instrumentation gar zu weit ging, wurden sogar die Radikalsten des jungen Deutschland stutzig. Der »Don Juan« nun unseres jüngsten philharmonischen Konzertes treibt es bunt genug mit den schreiendsten Effekten, die speziell das Blech hervorzubringen im Stande ist und auch Becken, Triangel und eingestimmte Glöckchen werden ziemlich häufig ins Treffen geführt. Das Tongemälde ist nach Lenau’s gleichnamiger Dichtung komponirt und gewiß sollen noch die verschiedenen lyrisch-seufzenden Liebesmotive jene schönen und unglücklichen Opfer in die Gegenwart zaubern, an denen Don Juan seine Lust und seinen Witz gebüßt. Ein gewisser schillernder Geist ist so manchem Kunststückchen der Instrumentation nicht abzusprechen, wenn beispielsweise die Klarinette singt und die Pauke ihre dumpfen Schläge dazu ertönen läßt, oder wenn sich Klänge der Harfe mit dem Fagott verbinden – sieht man aber von solchen einzelnen Momenten, die wenigstens den Vorzug eines guten Einfalls für sich haben, ab, so bleibt nichts als eine geschraubte und recht gedankenarme Anhäufung von grob-koloristischem Material. Und so kam es, daß einmal ein Don Juan durchgefallen ist. Das Publikum, sonst in der Regel recht nachsichtig gegen die Laster des schönen Sünders, nahm es diesmal recht ernst und gab ihm keinen Pardon. – Die Versöhnung kam bald. Die Herren spielten Beethoven’s erste Symphonie mit Hingebung und Glanz.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43838 (Version 2018‑01‑26).

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