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Friedrich Rösch
»Don Juan. Tondichtung (nach Nikolaus Lenau’s dramatischem Gedicht) für großes Orchester komponiert von Richard Strauss. op. 20«
in: Allgemeine Musik-Zeitung. Wochenschrift für die Reform des Musiklebens der Gegenwart, Jg. 23, Heft 22/23, Freitag, 29. Mai 1896 – Freitag, 5. Juni 1896, S. 301–305

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Don Juan.
Tondichtung (nach Nikolaus Lenau’s dramatischem Gedicht) für großes Orchester komponirt von Richard Strauss. op. 20.
Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten,
Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten
Möcht’ ich durchzieh’n im Sturme des Genusses,
Am Mund der Letzten sterben eines Kusses.
Durch alle Räume möcht ich fliegen,
Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor Jede
Und, wär’s auch nur für Augenblicke, siegen.
Ich fliehe Ueberdruß und Lustermattung,
Erhalte frisch im Dienste mich des Schönen;
Die Einzelne kränkend schwärm ich für die Gattung.
Der Odem einer Frau, heut Frühlingsduft,
Drückt morgen mich vielleicht wie Kerkerluft.
Wenn wechselnd ich mit meiner Liebe wandre,
Im weiten Kreis der schönen Frauen,
Ist meine Lieb’ an jeder eine andre;
Nicht aus Ruinen will ich Tempel bauen.
Ja, Leidenschaft ist immer mir die neue;
Sie lässt sich nicht von der zu jener bringen,
Sie kann nur sterben hier, dort neu aufspringen;
Und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue.
Wie jede Schönheit einzig in der Welt,
So ist es auch die Lieb’, der sie gefällt,
Hinaus und fort nach immer neuen Siegen,
So lang der Jugend Feuerpulse fliegen!
– – – – – – – – – – – – –
Es war ein schöner Sturm, der mich getrieben
Er hat vertobt und Stille ist geblieben.
Scheintodt ist alles Wünschen, alles Hoffen;
Vielleicht ein Blitz aus Höh’n, die ich verachtet,
Hat tödlich meine Liebeskraft getroffen,
Und plötzlich ward die Welt mir wüst, umnachtet;
Vielleicht auch nicht; – der Brennstoff ist verzehrt,
Und kalt und dunkel ward es auf dem Herd. – –

Auf Grund dieses Programmes hat der Komponist seinem Werke folgende Disposition gegeben:

Nachdem er in einem ziemlich weit ausgeführten Satze zunächst die Gestalt Don Juan’s festgestellt hat, führt er uns drei ausführliche Liebes-Episoden seines Helden vor: eine erste feurig-leidenschaftliche (H dur); [304]1 eine zweite sanft-schmachtende (G dur) und eine dritte toll-ausgelassene Karnevalsszene. In einem ebenso kühnen als glänzenden Durchführungssatz, in welchem der Komponist sämmtliche Themen verarbeitet, erscheint uns sodann Don Juan »mit immer neuer Leidenschaft« nach »immer neuen Siegen« stürmend. Eine kurze Coda führt uns das Ende Don Juan’s vor, der – von der Degenspitze eines Gegners durchbohrt – zusammenbricht. –

Wir unterscheiden demgemäss sechs Abschnitte.

I. Die Gestalt Don Juan’s. Von Wichtigkeit sind hier folgende Themen:

No.1.

No. 2.

No. 3.

No. 4.

No. 5.

Diese fünf Themen – theils nach einander auftretend, theils kontrapunktisch mit einander verarbeitet – geben ein plastisch-einheitliches Bild des in glühender Leidenschaft durch’s Leben stürmenden Don Juan. Nur ein einziges Mal wird dieser Satz von einem kleinen Motiv:

No. 6.

unterbrochen – zarte Seufzer eines geknickten Mächenherzens, die aber alsbald wieder von den unaufhaltsam weiter dahinflutenden Don Juan-Themen (No. 1–5) verschlungen werden. Da plötzlich hält Don Juan inne; sein Blick wird gefesselt durch eine fascinierende weibliche Erscheinung. –

II. Erste Liebes-Episode (H dur). Ein aus Motiv No. 5 gebildetes, auf einem üppig schwelgenden Fis dur-Nonenakkord ruhendes Violin-Solo leitet das liebesglühende Hauptthema dieses Abschnittes ein:

No. 7.

Dieses Thema wird überaus kunstvoll kanonisch verarbeitet und insbesondere dessen zweiter (dem Motiv No. 5 nachgebildeter) Takt und der Schluß (Takt fünf und sechs) in immer wechselnder harmonischer und modulatorischer Variation gesteigert. Auf dem Höhepunkt der Steigerung bricht ein unerwarteter E moll-Akkord fortissimo herein: Don Juan ist seiner Liebe überdrüssig.

Nicht lange währt es, so entzieht er sich ihren Armen und stürmt abermals ins Leben hinaus. Die Themen No. 1–4 werden in neuer Verarbeitung vorgeführt. –

III. Zweite Liebes-Episode (G dur). Don Juan – von einer neuen weiblichen Erscheinung entzückt – nähert sich ihr mit eindringlich verführerischer Rede:

No. 8.

Aengstlich-schüchtern klingt die Abwehr:

No. 9.

Den immer eindringlicheren Verführungskünsten Don Juan’s erliegt schließlich das zarte Mädchenherz. Von Thema No. 8 kontrapunktiert, folgt nun das ausdrucksvoll getragene Hauptthema dieser zweiten Episode:

No. 10.

Doch bald reißt sich Don Juan auch hier aus den ihn umstrickenden Armen der Schönheit los. Er stürmt in keckem Uebermuth davon. Hier tritt ein, für die weitere Entwicklung äußerst wichtiges neues Don Juan-Thema auf:[305]

No. 11.

Ihm antwortet zunächst Thema No. 10, das in charakteristischer Verkürzung mit dem Ausdrucke ängstlicher Klage den Ungetreuen vergeblich zurückzuhalten sucht. Rücksichtslos aber setzt das neue Thema wiederholt ein und leitet so, vom ersten Don Juan-Thema (No[.] 1) unterstützt, zum folgenden Abschnitt über. –

IV. Kanervalsszene. Dieselbe beginnt mit nachstehendem Motiv:

No. 12.

Gleich darauf taucht eine sehr fragwürdige weibliche Erscheinung auf:

No. 13.

Aller erdenkliche tolle Spuk huscht an uns vorüber. Dazwischen hinein erklingen Fragmente der Don Juan-Themen. Unheimliche Akkorde in den Hörnern und Trompeten verrathen uns, daß in der Brust des Unersättlichen sich Ekel und Ueberdruß zu regen beginnen. In den Bässen erscheint vorübergehend ein dem Thema No. 3 verwandtes Motiv:

No. 14.

das in lebhafter Steigerung unaufhaltsam vorwärts treibt. Plötzlich nimmt die ausgelassene Szene ein jähes Ende. Von Ekel und Ueberdruß erfüllt, wendet sich Don Juan ab. In seiner Erinnerung tauchen wie mahnende Geister die verblichenen Bilder seiner Liebesabenteuer auf. Erst Motiv No. 6, dann 7 und 10. Aber bald ermannt er sich wieder. Thema No. 1 setzt wiederholt ein; erst etwas zurückhaltend, dann immer lebhafter. Schließlich werden in einer neuen, überaus glänzenden Durchführung (V. Abschnitt) die sämmtlichen Don Juan-Themen (No. 1–5 und No. 11) bis zur höchsten Steigerung verarbeitet. Nach einer langen, unheimlichen Generalpause folgt die Coda (VI. Abschnitt). Don Juan hat sein stürmisches Leben ausgetobt; an der Degenspitze eines Gegners findet er seinen Tod.

1Die Seiten 302–303 enthalten Notenabbildungen zu einem anderen Beitrag; Fortsetzung der Rezension auf S. 304.
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43840 (Version 2018‑11‑30).