Langhans, W.
»Rückblick auf die Berliner Musiksaison 1887–88«
in: Neue Zeitschrift für Musik. Organ des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, Bd. 84, Jg. 57, Heft 22, Mittwoch, 30. Mai 1888, S. 253

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
Rückblick auf die Berliner Musiksaison
1887–88

(Fortsetzung.)

An den End- und Mittelpunkt der Saison, beide durch eine außerordentliche Kunstleistung markirt, schließe sich nun noch der ebenbürtige Ausgangspunkt an, als welchen wir das erste der zehn von Bülow geleiteten Orchester-Concerte anzusehen haben. Ein Berliner Concert-Habitué hätte beim Anblick der Wagenburg, welche am Abend des 21. Oktober der Straßen lange Zeile in der Umgegend der Philharmonie füllte, an alles Andere eher gedacht, als an ein Programm von drei Symphonien der Altmeister Haydn, Mozart, Beethoven: was sonst nur den Sternen erster Größe am Virtuosenhimmel gelungen, das »Tour Berlin« unwiderstehlich in seine Kreise zu bannen, das hatte diesmal Bülow’s Zauberstab fertig gebracht. Auch drinnen im Saale herrschte einmüthig-freudige Erregung, die sich von Satz zu Satz steigerte und nach der Eroica einen solchen Grad erreicht hatte, daß man sich nur schwer zum Fortgehen entschließen konnte. Nicht einmal die übliche Garderoben-Noth am Ausgang vermochte es, die Zuhörer zur Raison zu bringen, sie aus den an Bülow’s Hand erklommenen Höhen der Gedankenwelt in die Prosa des Alltaglebens zurückzuführen; und wenn es richtig ist, daß ein erfahrener Concertbesucher aus der Physiognomie der Garderobe auf den Erfolg des vorangegangenen Concertes mit Sicherheit schließen darf, so möchte ich behaupten, daß ein solches physiognomisches Studium mit dazu gehört, um die Wirkung eines Bülow-Concertes in ihrem ganzen Umfange kennen zu lernen. Und wie bei diesem, so bei den neun folgenden, unter denen auch nicht ein einziges war, welches gegen die übrigen »abgefallen« wäre. Nur der Noth des Raumes gehorchend, verzichte ich auf die Wiedergabe der sämmtlichen Programme und beschränke mich auf einige wenige, besonders fest in meinem Gedächtniß behaftende Eindrücke. Von den Orchester-Novitäten hatte den meisten Erfolg Richard Strauß’ farbenreiche, kühn entworfene, aber mit sicherer Meisterhand ausgeführte symphonische Phantasie »Aus Italien« und Villiers–Stanford’s ebenfalls originelle und geschickt gearbeitete »Irische« Symphonie. Reichen Beifall fanden ferner eine Symphonie im Cmoll von Gernsheim, sowie die weniger umfangreichen Werke von Reinecke (Orchester-Variationen über »Ein’ feste Burg«), Bazzini (Lear-Ouverture) und Moszkowski (Phantastischer Zug), während E. d’Albert’s Ouverture zu Grillparzer’s »Esther« und E. E. Taubert’s »Lustspiel-Ouverture« nicht diejenigen Anerkennung fanden, welche sie verdienen und nach meiner Ueberzeugung bei wiederholter Aufführung finden werden. […]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44034 (Version 2021‑04‑12).

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