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H. G.
[ohne Titel]
in: Neue Musikalische Presse, Jg. 8, Heft 48, Sonntag, 26. November 1899, Rubrik »Concerte«, S. 6

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

25. November 1899.

(Zweites philharmonisches Concert. 19. Nov.)

Wenn einer eine Reise thut, so kann er was verzählen [sic]. Es kommt aber immer darauf an, wer die Reise thut, was und wie er zu erzählen weiss, denn viele sind aus Italien zurückgekehrt mit nichts anderem, als einem Retourbillet Cook’s in der Tasche. Richard Strauss aber brachte seine symphonische Fantasie op. 16 mit und benannte ihre Theile: Auf der Campagna, in Roms Ruinen, am Strande von Sorrent und neapolitanisches Volksleben. Strauss lebt schnell und hat die obligaten drei Style bereits hinter sich, »Aus Italien« wird als Brücke von der ersten zu seiner zweiten Periode betrachtet und man fasst nicht nur das Werk für sich in’s Auge, sondern auch die Fäden, welche es mit seinen Nachbarn verknüpfen, i. e. seine Werke gelten als historische Documente, als Belege für die Entwickelungsgeschichte des Componisten. Der Vielheit der Themen in dem zum ersten Male gehörten Werke entspricht auch das Complicirte der lnstrumentirung und Dr. Rob. Hirschfeld’s Programmbuch, das seiner Aufgabe, positive Information zu geben, immer mehr gerecht wird, theilt nicht weniger als 25 Notenbeispiele daraus mit. Anders spiegelt sich die Welt in diesem Kopfe als bei anderen und kaum etwas in den vier Sätzen würde dem Unbelehrten die italienische Herkunft oder Beziehung offenbaren, ausser die Ueberschriften, es wäre denn ein zur Gassenmelodie gewordenes neapolitanisches Volkslied, mit dem Strauss ein ergötzliches Spiel treibt: hören wir doch eine regelrechte Fugirung, die Repercussion nach dem Recepte des ††† verzopften Contrapunkts. Dass das »funiculi, funicula« von Schusterjungen gepfiffen [w]ird, hat die Melodie also nicht unehrlich gemacht. Strauss’ für uns neues Werk hat entschiedenes Gefallen erweckt und Gustav Mahler hat die wechselnden Bilder des Glanzes und der Pracht und wieder der Zartheit und Wehmuth auf das Feinste und Klarste durchgebildet uns vorübergeführt. Ihm behagt das Verwickelte, ihn reizt das Ungewöhnliche. Neues, Modernes lassen wir von seiner kundigen Meisterhand uns lieber vorzaubern als die alten, wohlvertrauten Weisen. Auf die symphonische Fantasie folgte in herrlicher Ausführung Beethoven’s zweite Symphonie. Nur das himmlische Larghetto wollte uns nicht so warm machen, wie sonst.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44047 (Version 2021‑04‑12).

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