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G. E.
[ohne Titel]
in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Jg. 33, Heft 19, Samstag, 19. Januar 1889, Abendblatt, Rubrik »Feuilleton/Aus Kunst und Leben«, S. 2

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

Frankfurt a. M., 19. Januar.

[Siebentes Museumsconcert.]

An der Spitze des Programms stand eine Novität, welcher wohl von den meisten der »Habitues« dieser Concerte mit Interesse entgegengesehen wurde, aber auch wohl den Meisten eine arge, unerwartete Enttäuschung brachte. Nachdem vor einigen Jahren der jugendliche Komponist Richard Strauß hier mit einer, so große Begabung bekundende Symphonie glänzend debütirte, durfte man in der That ein mindestens gleichwertiges, wenn nicht gar bedeutenderes Werk von ihm erwarten. Das ist nun leider nicht eingetroffen. Von der bezeichneten Symphonie ist zu der gestern, »aus Italien« betitelten »Sinfonischen Fantasie«, nicht nur ein Schritt abwärts, sondern ein Sprung, ein Fall! Erfreute in der Symphonie ebensowohl eine blühende, wenn auch nicht immer ganz selbstständige Erfindung wie eine geistreiche Gestaltung, so läßt die Fantasie nach beiden Richtungen beinahe alles zu wünschen übrig. Nichtssagende Phrasen, Grübeleien, auf äußerlichen Reiz berechnete orchestrale Klangwirkungen, unzusammenhängender, nach Möglichkeit verworrener Inhalt – das ist das Facit der überaus langen, viersätzigen Fantasie, in welcher der Komponist nur eins am schlagendsten beweist, daß es ihm selbst zu viel an Fantasie gefehlt hat, um sein Programm auszuführen. Und zu welchen Anforderungen steigert der Komponist sein Programm! »Fantastische Bilder entschwundener Herrlichkeit!« Wie das die Musik versinnbildlichen soll, dafür fehlt uns einfach jeder Begriff, wenn auch als Schauplatz dieser »Bilder« Rom’s Ruinen angegeben sind. Ein weiterer großer Mangel des neuesten Strauß’schen Erzeugnisses ist der, daß es den Beweis liefert, daß etwas »Aus Italien« kommen kann, ohne im Entferntesten »italienisch« zu sein. Trotz des enormen orchestralen Aufwandes, trotz der pretenziösesten Allüren, trotz der ungezwungensten Eingriffe in Wagner’s Musikthum, klingt alles so eisig und frostig, als wenn das Ganze direkt »vom Nordpol« käme. Selbst der letzte, »Neapolitanisches Volksleben« benannte Satz zeigt dieselbe Steife und Starrheit, ungeachtet dessen, daß er »mit Benutzung Neapolitanischer Volksmelodien« komponirt ist. Es ist tief zu bedauern, daß ein Talent wie dasjenige von Richard Strauß sich so weit vom Guten abwenden konnte, daß er alles, was eine Musik schön, oder wenigstens angenehm machen kann, vermieden hat und daß man, da der Komponist in seiner »Fantasie« scheinbar am brutalsten Lärm die größte Freude hat, von diesem seinem Werke in der That sagen kann: Musik ist (unter Umständen) nur ein unangenehmes Geräusch. Hoffen wir von Herzen, daß Herr Strauß durch etwaige Kundgebungen etwaiger Bewunderer seiner »Fantasie« sich nicht verleiten läßt, auf dem jetzigen Wege zu verharren, sondern daß er mit allen Kräften bestrebt sein wird, sein Talent zu klären und abzutönen, und seinen durch die letzte Komposition begangenen großen Irrthum wieder gut zu machen. Der gestrige Mißerfolg wird den jungen Künstler wohl auch darüber belehrt haben, daß nicht Schreiber dieser Zeilen allein ungünstig über sein Werk empfunden. Es fanden sich zwar auch gestern noch »klatschbereite« Hände in genügender Anzahl vor, um ein zweimaliges Hervorrufen des Komponisten zu ermöglichen. Vergleicht man indessen den gestrigen Beifall mit den [unanimen] Ovationen, welche Herrn Strauß anläßlich der Aufführung seiner Symphonie dargebracht wurden, so darf man wohl von einem Mißerfolg der »Fantasie« reden. Der weitere Verlauf des gestrigen Abends gestaltete sich durch die Mitwirkung des trefflichen Sängers Anton Schott und des brillanten jugendlichen Klaviervirtuosen Bernhard Stavenhagen aus Berlin zu einem sehr erfreulichen. […]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44049 (Version 2021‑04‑12).

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