Mayer-Reinach, A.
[ohne Titel]
in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft, Jg. 4, Heft 3, 1902, Rubrik »Musikberichte«, S. 130–132

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
Berlin. (20. Oktober bis 20. November.)

Unsere beiden Opernhäuser haben je ein neues Werk von größerer Bedeutung gebracht, das kgl. Opernhaus die einaktige Oper »Feuersnot« von Richard Strauß, die Oper des Westens das Goldmark’sche »Heimchen am Herd«. Beide Werke haben bereits mehrere Aufführungen erlebt. Der Goldmark’schen Oper scheint diesmal ein dauernderer Erfolg beschieden zu sein, als vor circa 6 Jahren, wo das Werk im kgl. Opernhaus zuerst gegeben wurde; die Aufführung, die das Theater des Westens bot, muß auch durchweg gelobt werden. – Die Darbietung der »Feuersnot« im Opernhaus war das »Ereignis« dieses Monats. Richard Strauß, der sein Werk selbst dirigierte, wurde enthusiastisch gefeiert. Allerdings spricht hier auch die persönliche Beliebtheit des Komponisten nicht wenig mit. Als Fazit bleibt aber jedenfalls zu berichten, daß wir in der »Feuersnot« (siehe Bericht in der Zeitschrift, Jahrgang III, S. 245ff.) ein Werk von größter Bedeutung gewonnen haben, dem ein andauernder Erfolg beschieden sein dürfte. Nur eines hat mich – und so auch viele andere – befremdet: was sollen die Stellen, in denen der Komponist sein Publikum nicht ganz ernst zu nehmen scheint, was sollen die Verse und musikalischen Anspielungen auf seine Stellung als Nachfolger Richard Wagner’s. Man sehe nur:

»Im Hause, das ich heut zerhaun'
Haust Reichhart einst der Meister.
Der war kein windiger Gaukler, traun,
Der hehre Herrscher der Geister.«

Wer unter Meister Reichhart zu verstehen ist, das hört man nur zu deutlich im Orchester durch die Klänge des Walhall-Motivs. Und weiter:

»Sein Wagen kam allzu gewagt euch vor,
Da triebt ihr den Wagner aus dem Thor –
Den bösen Feind, den triebt ihr net aus –
Der stellt sich euch immer aufs neu’ zum Strauß

Und hierzu erklingt ein Motiv aus der Strauß’schen Erstlingsoper »Guntram«. Ich frage mich, hat ein Komponist von solch allgemein anerkannter Bedeutung nötig, derartige Mätzchen in seinem Werk anzubringen? Ich muß auch gleichzeitig bemerken, daß mir gerade die Stelle, aus denen die obigen Verse citiert sind, die Ansprache Kunrad’s, etwas sehr in die Länge gezogen scheint und die dadurch entstandenen musikalischen Längen sehr empfunden werden. Aber trotz dieser Ausstellungen, die ja nur eine einzige Stelle der ca. 1 1/2 Stunden dauernden Oper treffen, darf doch nicht vergessen werden zu betonen, daß das Werk, als ganzes betrachtet, den besten Werken seines Schöpfers getrost an die Seite gestellt werden darf. – Am gleichen Abend, an dem die »Feuersnot« in Scene ging, kam noch ein neues Ballet von Saint-Saëns, »Javotte«, zur Aufführung, das aber nach dem vorangegangenen Einakter einen schweren Stand hatte.

Auch in den Konzertsälen erschien Richard Strauß mehrere Male mit großen Werken auf der Bildfläche, jedesmal unter dem gleichen Jubel des Publikums. Mit seinem Heldenleben errang sich Nikisch im dritten philharmonischen Konzert größte Lorbeeren, die Sinfonie aus Italien, op. 16, führte der Komponist im zweiten seiner modernen Orchesterkonzerte selbst vor und im ersten Abend des Dessau-Quartetts [131] spielte er mit dem Primgeiger, dem ausgezeichneten Konzertmeister der kgl. Kapelle, seine Violinsonate op. 18 in Es-dur. Zeigt die Sinfonie »Aus Italien«, obwohl das frühere der beiden Werke, schon deutlich den kommenden Komponisten von »Tod und Verklärung«, so läßt dagegen die Sonate, obwohl in ihrer Art sehr schön, noch nichts von dem Zukunfts-Mann ahnen. Aus dem Programm des schon erwähnten II. Modernen Konzerts erwähne ich noch die Mitwirkung Emil Sauer’s als Interpret eines eigenen Klavier-Konzertes, das aber als Komposition wenig interessierte. Der Spieler dagegen errang sich einen großen Erfolg. – Unter den Orchesterkonzerten des Monats stehen in erster Linie die zwei Konzerte der Meininger Hofkapelle unter Fritz Steinbach, denen beiden Altmeister Joachim seine Mitwirkung lieh. […] [132] […]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44070 (Version 2021‑04‑12).

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