Brief
Richard Strauss an Hans von Bülow
Samstag, 29. Oktober 1887, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

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Hochverehrter Meister!

An einem denkwürdigen Tage sende ich meine neue Partitur an Sie, mit der Bitte,: dieselbe gütig aufnehmen zu wollen, u. mit der Hoffnung, daß Ihnen das Werk ein klein wenig Freude machen möge. Wie glücklich ich bin, daß Sie erlaubten, Ihnen das Werk zu widmen, brauche ich wohl kaum mehr zu sagen; empfangen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank.

Nun sogleich die Frage: wie gings mit dem Jdomeneus [sic], waren Sie mit der Partitur zufrieden u. kam der bewußte Klavierauszug noch rechtzeitig an?, entschuldigen Sie, bitte, nochmals meinen Irrtum wegen des letzteren! Ich wollte, ich könnte heute bei Ihnen sein u. das Don Juanjubiläum im Hamburger Stadttheater mitfeiern! Gingen die Mozartvorstellungen bis jetzt nach Ihrem Wunsch? Von dem herrlichen Berliner Triumph habe ich bereits bei Leßmann gelesen u. gratulire von ganzem Herzen! –

Mir gings unterdessen recht gut; ich habe vor 14 Tagen in Leipzig mit meiner Sinfonie einen recht schönen Erfolg erzielt, der nur durch die Gehässigkeit einiger Scribenten etwas getrübt wurde. Doch das thut nichts! Publicum u. besonders Orchester waren sehr nett, mit dem letzteren war ich sehr zufrieden, es bewältigte die Sinfonie mit zwei kleinen Proben ganz famos u. zeigte sich als ein sehr intelligenter Körper; die Holzbläser waren zwar nicht ganz nach meinem Geschmacke, Streichquartett dagegen ausgezeichnet. Der neue Concertsaal erregte mein höchstes Entzücken. – Eine neue, sehr reizende Bekanntschaft machte ich mit Herrn Mahler, der mir als höchst intelligenter Musiker u. Dirigent erschien; einer der wenigen modernen Dirigenten, der von Tempomodification weiß u. überhaupt prächtige Ansichten, besonders über Wagners Tempi (entgegen den jetzt accreditirten Wagnerdirigenten) aufwies.

[77] Mahlers Bearbeitung von Webers »3 Pintos« scheint mir ein Meisterstück; von dem ersten Akt, den Mahler mir vorspielte, bin ich ganz entzückt; das ist von anderm Schrot wie Silvana, ächtester, liebenswürdigster u. [genialster] Weber! Ich glaube, Sie werden sich auch darüber freuen! Dabei die technische Meisterschaft Webers hier; alles frei von [Dilettantischem]1, wie es sich in den andern Opern doch hie u. da zeigt. –

Gestern hatte ich die große Freude, von unserm Intendanten mir Carmen überwiesen zu sehen, es scheint, daß er nun die Dudelei unter Fischer auch satt hatte. Meine, d. h. Ihre Tempis von Carmen, werde ich natürlich wieder viel Mühe haben, bei Sängern u. Orchester durchzusetzen, um so mehr, als dieselben hie u. da mit dem angegebenen Metronom differieren. So gleich die Einleitung, das Lied Escamillos u. das Vorspiel zum letzten Akt; diese sämtlichen Nummern machen Sie langsamer als vorgeschrieben, doch war’s herrlich u. werde es schon durchsetzen! – Da Levi schon wieder sehr leidend ist (er hat einen schauerlichen Krampfhusten) u. wahrscheinlich wieder nach Arco muß, wird’s wohl im Theater wieder mehr für mich zu tun geben. Bis jetzt hatte ich seit August gar nichts, da Fischer unermüdlich ist. Gestern nun hat mir Excellenz eine neue Zahl Opern übertragen, darunter also Carmen u. Troubadour! – Ich freue mich schon riesig auf Berlin, hoffentlich kann ich von hier weg, nur am 27. November muß ich in München sein, da wir da Excellenzjubiläum haben, hoffentlich fällt die Aufführung der Fantasie nicht in diese Zeit. – Sie u. Ihre hochverehrte Frau befinden sich hoffentlich in bestem Wohlsein; mit den herzlichsten Grüßen verbleibe ich in ausgezeichnetster Hochachtung

Ihr immer dankbarer

Richard Strauss.

1Korrigiert gemäß Jahrbuch.
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Österreichische Nationalbibliothek (Wien), Signatur: F 50 IMBA 38 (Typoskript) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • unbekannt (maschinenschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Willi Schuh (Hrsg.): Richard Strauss Jahrbuch 1954, Bonn, 1953, S. 53–54.
  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 66–67.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01827 (Version 2021‑04‑12).

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