Brief
Richard Strauss an Paul Bernhard Limburger
Freitag, 20. Juli 1888, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
[1r]

Hochverehrter Herr Consul!

Herzlichen Dank für Ihr freundliches Schreiben u. die liebenswürdige Berücksichtigung, die Sie meiner italienischen Fantasie angedeihen lassen wollen. Gegen die Novitätenprobe u. ein einmaliges Durchspielen meines Werkes, von dem die Aufführung desselben abhängig gemacht werden soll, habe ich allerdings schwere Bedenken, die ich Ihnen im Interesse meines Werkes nicht verschweigen darf u. für die ich im Voraus um gütige Entschuldigung bitte. –

Meine italienische Fantasie ist nämlich ein so rasend schweres (leider, leider!) Virtuosenstück für’s Orchester, daß es (im 2. u. im letzten Satze) gar nicht vom Blatt zu lesen ist u. selbst einem so eminenten Orchester wie dem Leipziger wird es nicht gelingen. Ich habe selbst mit [1v] den Berliner philharmonischen u. dem Münchner Hoforchester die Erfahrung gemacht. Der letzte Satz: Neapolitanisches Volksleben (so eine Art römischer Carneval mit Tarantella u. Volksgewimmel, ein ziemlich übermütiges Stück, das aber gerade in Berlin großen Effekt gemacht hat), sowie auch der schwierige zweite Satz: in Rom’s Ruinen werden, das kann ich Ihnen sagen, in einer Leseprobe den Eindruck eines absoluten Chaos u. musikalischen Blödsinn’s machen u. eine einstimmige Ablehnung meines Werkes wird die Folge der Probe sein. Und doch könnte ich Ihnen versprechen, daß nach zwei starken Proben gerade der, schon etwas tolle, letzte Satz Ihnen Spaß machen würde. Die Stücke sind so schwer, daß das beste Orchester, wenn es wirklich die [2r] Noten zwingen wird, doch den dynamischen Zeichen, die gerade da für eine klare Ausgestaltung des Finale’s ungeheuer wichtig sind, keine Beachtung schenken kann; vertrauen Sie darin, bitte, den Erfahrungen, die ich mit den verschiedensten Orchestern gemacht habe. Außerdem sind 2. u. 4. Satz rythmisch so difficil, daß, bevor sich das Orchester in eifrigen Detailproben nicht ganz klar über diese Rythmen ist, nur ein furchtbares Durcheinander herauskom̅en wird. –

Also, verehrter Herr Consul, das Resultat dieser Erörterungen: bewahren Sie mich, bitte (ich vertraue auf das liebenswürdige Wohlwollen, das Sie u. die Leipziger Concertgesellschaft mir bis jetzt zu Teil werden ließen), vor der Novitätenprobe, die mir nur Blamage u. Ihnen Ärger [2v] bereiten wird. Mein Werk hat bis jetzt bei allen Aufführungen (neuerdings kamen solche in Newyork, Philadelph Brooklyn unter Theod. Thomas, und in Weimar u. Jena unter Ed. Lassen) so großen Erfolg u. so freundliche Anerkennung von Seite der Kritik erzielt, daß ich wohl zu hoffen wage, daß meine italienische Sinfonie dem Leipziger Gewandthaus keine Schande bereiten wird. Allerdings braucht mein Werk 3 Proben, da es viel schwerer ist, als meine Sinfonie in Fmoll. Wenn: »aus Italien« aber flott geht, ist es ein virtuoses Glanzstück für jedes Orchester. –

Sollten sie trotzdem auf der Novitätenprobe bestehen, stelle ich Ihnen selbstverständlich die Stim̅en zur Verfügung.

Indem ich Ihnen nochmals meine Bitte dringend ans Herz lege, verbleibe ich mit herzlichem Gruß u. Dank

in ausgezeichnetster Hochachtung

Ihr stets ergebenster

Richard Strauss.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Stadtarchiv Leipzig (Leipzig), Signatur: Gewandhaus zu Lpz., Nr. 1849 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01864 (Version 2021‑04‑12).

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