Brief
Richard Strauss an Hans von Bülow
Sonntag, 30. Dezember 1888, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

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Hochverehrter Herr von Bülow!

Gestatten Sie mir, Ihnen zum Jahreswechsel die besten u. herzlichsten Glückwünsche zu übersenden, denen ich sogleich eine Gratulation zu Ihrem Geburtstage (8. .Januar) beifügen zu dürfen Sie bitte; also Alles Schöne und Herrliche! u. vor allem, daß es Ihnen vergönnt sein möge, noch recht viele Jahre, in Ihrer vollen Kraft thätig, uns jüngeren ein leuchtendes Vorbild zu sein! Wenn ich hier einen Detailwunsch mir anzuschließen erlauben darf, so würde er vielleicht lauten: »mögen Sie Ihren treuen Freunden u. Verehrern recht bald – – die IX.te Sinfonie bescheren, d. h.: sich körperlich wohl genug befinden, um sich der anstrengenden Aufgabe einer zweimaligen Aufführung des Riesenwerkes an einem Abend unterziehen zu können.[«]

Ich habe die projektirte Reise zur IX-ten nach Berlin mit einem Ausflug nach Meiningen vertauscht, der mir zwar keinen annähernden Ersatz bot, aber doch immerhin Freude genug bereitet hat. Ich dirigirte dort am zweiten Weihnachtsfeiertage meine italienische Fantasie, die ich von Steinbach in so ausgezeichneter, feinfühliger Weise vorbereitet und einstudirt vorfand, daß ich sie vor der Aufführung nur einmal durchzuspielen brauchte. Steinbach ist es wirklich gelungen, durch eminenten Fleiß die Kapelle auf der Höhe ihrer früheren Leistungsfähigkeit zu erhalten; das bekundete mir sowohl die vorzügliche, bis in’s kleinste Detail ausgearbeitete Wiedergabe meiner Fantasie, als auch eine Aufführung der Euryanthenouvertüre, in der ich mich besonders freute, die Bülowsche Tradition noch nach Möglichkeit bewahrt zu finden. Der Orchesterklang war zudem, trotz der 8 ersten Geigen, ein ganz vortrefflicher, kurz u. gut: die Kapelle ist noch in bestem Zustande u. Steinbach ein ganz famoser Musiker. –

[109] Einen Tag nach dem Concert kam d’Albert zu einer Probe des Brahmsschen Dmollconcertes u. hatte die Güte, mir bei der Gelegenheit seine Fdursinfonie vorzudirigiren, die ich als ein Werk von ganz bedeutendem Talent erfand; besonders das ungeheuer stimmungsvolle Adagio hat mir außerordentlich gefallen. Die Sinfonie wurde ganz vorzüglich gespielt. –

Am 8. Januar dirigire ich die Fantasie in Köln, am 18. in Frankfurt, am 10. die Sinfonie [in]1 Mannheim.

Meine hiesige Stellung wird mir immer unerträglicher u. möchte ich um jeden Preis fort; es ist wirklich in dem Sumpfe nicht mehr auszuhalten!

Indem ich mich noch der mir von Ihrer Hoheit der Princessin Marie an Sie aufgetragenen Grüße entledige, verbleibe ich mit Beifügung der besten Neujahrswünsche auch an Ihre verehrte Frau

in treuster Verehrung

Ihr ergebenster

Richard Strauss.

1Korrigiert gemäß »Lieber Collega«,
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Österreichische Nationalbibliothek (Wien), Signatur: F 50 IMBA 38 (Typoskript) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • unbekannt (maschinenschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Willi Schuh (Hrsg.): Richard Strauss Jahrbuch 1954, Bonn, 1953, S. 71–72.
  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 83–84.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01882 (Version 2021‑04‑12).

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