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Brief
Richard Strauss an Hans Bronsart von Schellendorf
Donnerstag, 21. März 1889, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[36]

Hochverehrtester Herr Generalintendant!

Heute bin ich noch einmal in der unangenehmen Lage, Sie mit einer Bitte belästigen, eventuell Ihren freundlichen Rat in Anspruch nehmen zu müssen. Ich bin in einem recht schwierigen Dilemma, aus dem ich mich eigentlich selbst noch nicht herausfinden kann.

Frau Cosima Wagner war dieser Tage hier, wobei ich das Glück hatte, mit dieser hochbedeutenden Frau bekannt zu werden. Aus allen meinen Verhandlungen mit ihr, die diesjährigen Festspiele betreffend, ersah ich nun, daß Frau Wagner mir dieses Jahr einen ziemlich wichtigen u. verantwortungsvollen Posten zu übertragen gedenkt. Frau Wagner war ungeheuer liebenswürdig zu mir, bezeugte mir ihr vollstes Vertrauen, sodaß ich wirklich erkannte, daß ich heuer die Gelegenheit haben würde, mich der großen Bayreuther Sache sehr nützlich zu erweisen. –

Bei meiner Anwesenheit in Weimar hatten Sie, hochverehrtester Herr Generalintendant, nun die Güte, mir mitzuteilen, daß meine Italienische Fantasie im Programm der Tonkünstlerversammlung am 3. oder 4ten Tage des Festes, also am 29. oder 30. Juni drankommen würde. Demnach könnte ich in Bayreuth erst am 1. Juli eintreffen, was, da die Proben doch am 24. Juni schon beginnen, eine Verspätung von 8 Tagen bedeutet; dieselbe wäre nun immerhin, da sich meine Tätigkeit in Bayreuth hauptsächlich auf die Klavierproben mit den Sängern erstreckt, so erheblich, daß sie eventuell die ganze Bedeutung meiner Tätigkeit bei den Festspielen in Frage stellt.

Unter anderen Umständen würde ich nun selbstverständlich die rein persönliche, private Angelegenheit der Leitung meiner Composition auf der Tonkünstlerversammlung der größeren u. idealeren Bayreuther Sache einfach aufopfern; in diesem Falle müßte ich allerdings fürchten, durch meine Absage Sie, hochverehrtester Herr Generalintendant, dem ich mich in so vieler Hinsicht zu so innigem Danke verpflichtet fühle, zu verletzen, wenn ich gleich hinsichtlich der Beweggründe meines Handelns u. des persönlichen Opfers, das ich bringe, auf Ihr vollstes Verständnis rechnen darf.

[37] Hier kommt meine große Bitte: können Sie, hochverehrter Herr Generalintendant, es nicht möglich machen, daß meine Italienische Fantasie u. die Dräseksche Sinfonie, (um deren Direction mich der Componist unlängst in einem sehr schmeichelhaften Briefe bat), oder wenn beide Werke nicht zusammen möglich sind u. Dräseksche Sinfonie sicher in Aussicht genommen ist, – (indem wir meine Italienische Fantasie ganz fallen lassen) nur die Dräseksche [Sinfonie]1 auf den ersten Festtag, 27. Juni, angesetzt wird. Dann könnte ich am 28. Juni in Bayreuth eintreffen u. beides vereinigen. –

Sollten Sie es nicht möglich machen können, die beiden oder nur eine der Sinfonien auf den ersten Tag anzusetzen, so bitte ich Sie, hochgeehrter Herr Generalintendant, vertrauensvoll um Ihren freundlichen Rat, was ich thun soll, oder um gütige Antwort, ob Sie es mir nicht verübeln werden, wenn ich Bayreuths halber Ihnen für die Tonkünstlerversammlung absage. –

Wo ich nun Gelegenheit habe, der hohen idealen Bayreuther Sache dienen zu können, würde ich es für höchst eigennützig halten, wollte ich der persönlichen Componistenvorteile, die mir aus der Leitung meines »Italien« erwachsen, wegen in Bayreuth absagen. Andererseits wird meine dortige Tätigkeit ziemlich bedeutungslos, wenn ich 8 Tage zu spät komme.

Dies ist das schwierige Dilemma, in dem ich mich gegenwärtig befinde!

Bitte, raten Sie mir oder schreiben Sie mir, daß Sie, wenn sich die Sache, wie ich gebeten habe, nicht arrangieren läßt, mir nicht böse sind, wenn ich nicht nach Wiesbaden käme!

Auf keinen Fall möchte ich Sie, hochverehrtester Herr Generalintendant, kränken oder verletzen! Werden Sie der Unterordnung des Componisten Strauss unter den Wagnerianer Strauss beistimmen?

Hier noch, um noch meine Stellungsfrage zu berühren die ergebene Mitteilung, daß meine Verpflichtungen zum Münchner Hoftheater bereits gelöst sind, vom 31. Juli an bin ich frei; Exzellenz Baron von Perfall ist meinen Absichten, den hiesigen Contract nicht mehr zu erneuern, in einem Schreiben vom 9.ten März zuvorgekommen. Daß ich München verlasse, ist nun leider bereits auch öffentlich bekannt.

Ihren Auftrag an Hofkapellmeister Steinbach in Meiningen habe ich ausgerichtet, derselbe wird es sich zur Ehre rechnen, Ihnen zu der gewünschten Probe Ihrer Sinfonie sein Orchester zur Verfügung zu stellen.

Nun nochmals: verzeihen Sie, hochgeehrter Herr Generalintendant, dieses Schreiben u. die großen Bitten, die dasselbe enthält;

mit den herzlichsten Grüßen u. dem Ausdrucke der aufrichtigsten Dankbarkeit verbleibe ich

in ausgezeichnetster Hochachtung

Ihr treu ergebener

Richard Strauss.

1Korrigiert gemäß Lieber Collega.
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt

    • Hände:

      • unbekannt
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Irina Kaminiarz (Hrsg.), Richard Strauss : Briefe aus dem Archiv des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1888-1909 (= Veröffentlichungen der Hochschule für Musik "Franz Liszt" ; 1), Weimar, 1995, S. 36–37. (Transkriptionsgrundlage)
  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 133–134.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01899 (Version 2021‑04‑12).

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