Brief
Hans von Bülow an Richard Strauss
Mittwoch, 18. Mai 1887, Frankfurt (Main)

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

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Verehrter, lieber College und Freund!

Sie ahnen ganz richtig: ich bin bis zu chronischen Kopfschmerzen abgehetzt durch schriftl. und persönl. Behelligungen von Nah u. Fern, so daß ich für sympathische Correspondenten schon zu einsilbiger telegrammatischer Benutzung der Postkarte greifen müßte. Ihnen gegenüber will ich jedoch nach Möglichkeit mehrsilbiger zu sein versuchen.

Also: Ihre liebenswürdige Absicht, mir die durch Lokalopposition dekorierte sinf. Fant. widmen zu wollen, nehme ich mit dem gleichen Enthusiasmus an, den ich sonst gemeiniglich für Ablehnung ähnl. Auszeichnungen an den Tag zu legen pflege.

Hätte ich Muße, ich würde es für Pflicht erachten, alle meine (durch Erfahrung stichhaltige) Beredsamkeit aufzubieten, Ihnen die mir für Sie höchst bedenkliche Velleität auszureden, die Ufer der Ilm1 gegen die der Leine zu vertauschen.

Hören Sie folg. Reminiscenz:

1878.

H. v. Bt: [Hans von Bronsart] Du wirst ein gräuliches Publikum kennen lernen: die Hannoveraner sind die – Baiern – (pardon – ich citiere) des Nordens.

H. v. Bw. (4 Wochen später): Weißt Du, lieber Freund – trotz aller unliebsamen persönl. Erfahrungen in M. [München] muß ich den Hannoveranern des Südens doch den Vorzug einräumen.

»Zeit bringt Rosen« – und – lesen Sie Herders Prometheusgedicht und componiren Sie die Hymne an die Cardinaltugend:

Geduld

die darin enthalten ist.

[65] Herr P. [Petzet] [drohte]2 den guten Eindruck seines Vortrags der Bachschen Cismollfuge u. noch mehr von [Rheinbergers]3 Toccata Op. 115 vorgestern durch eine recht incorrekte u. verständnislose Stammelei von Beeth. Op. 101 zu verwischen, als ich ihn rechtzeitig ersuchte, abzubrechen und vorbereiteter (nachdem er das Werk »auswendig verlernt« habe würde) damit wieder zu kommen. Er scheint vornehml. Co(mpon)istenlorbeeren pflücken zu wollen – nachdem ich die Bekanntschaft seiner [Manuskripte]4 gehorsam abgelehnt – verbreitet er eifrig ein gedrucktes Liederheft von sich unter hübschen u. talentlosen Gesangschülerinnen des R. C. [Raff Conservatoriums] – – [Basta].5

Ihre Grüße an gemeinsame hiesige Freunde werden demnächst bestellt werden. Gleiches meinerseits in M.

Mit aufrichtigen Wohlwünschen Ihr

freundschaftlichst ergebener

HvBülow

1Möglicherweise ein Transkriptionsfehler: Isar dürfte gemeint sein.
2Korrigiert gemäß Richard Strauss Jahrbuch 1954.
3Ergänzt gemäß Jahrbuch.
4Ergänzt gemäß Jahrbuch.
5Ergänzt gemäß Jahrbuch.
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Österreichische Nationalbibliothek (Wien), Signatur: F 50 IMBA 38 (Typoskript) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • unbekannt (maschinenschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Willi Schuh (Hrsg.): Richard Strauss Jahrbuch 1954, Bonn, 1953, S. 47–48.
  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 60.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02030 (Version 2021‑04‑12).

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