Brief
Richard Strauss an Franz Strauß / Josephine Strauß
Mittwoch, 5. Februar 1890, Weimar

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan

[1r]

Meine lieben Eltern!

Endlich bin ich nun wieder glücklich in meinem lieben, stillen Weimar, nach dem ich mich aus dem scheußlichen Judengetriebe Berlin’s, in dem man kaum mehr wie die zwei Möglichkeiten hat, entweder überfahren zu werden oder einem Spitzbuben in die knoblauchduftenden Hände zu fallen, recht gesehnt habe. Mit Ausnahme des gestrigen Abends, wo ich meinen Don Juan ohne Probe (u. endlich, wie ich ihn mir gedacht hatte,) selbst mit großem Erfolg bei Publicum und Orchester dirigirte u., mit Ausnahme der Anwesenheit von Sonia von Schéhafzoff u. des lieben vortrefflichen Rösch waren mir die Berliner Tage ein Greuel, trotzdem der Don Juan großes Aufsehen machte, von der gesam̅ten Kritik mit größtem Respekt behandelt wurde u. auch unter Bülows Leitung einen großen Erfolg hatte (ich mußte mich in längeren Zwischenräumen dreimal von meiner Loge aus verbeugen, Bülow war zudem sehr [1v] liebenswürdig[)] – was willst du denn mehr, lieber Richard, werdet Ihr fragen? Nun, ich will Euch antworten: was nützt mir ein Erfolg, der auf einem Mißverständniß beruht?

Also: Bülow hat mein Werk in Tempi’s, u. in allem total vergriffen, von dem poetischen Inhalt keine Ahnung u. hat es eben wie andere wohlklingende, interessant kombinirte u. harmonisirte, raffinirt instrumentirte Musik behandelt u. zwar mit großem Fleiße, größter Anstrengung u. mit einer Heidenangst vor einem Mißerfolg, (den er jetzt nicht mehr ertragen kann, da er furchtbar eitel wird, u. zwar hauptsächlich durch seine scheußliche jüdische Umgebung, der Wölfe, Ochsen, Köche etc. etc.) – einstudirt u. dem Publicum ein sehr interessantes Musikstück, aber nicht meinen Don Juan vorgeführt. Bülow hat wirklich kein Verständniß mehr [2r] für poetische Musik, er hat den Faden verloren!

Daß Bülow überhaupt dirigirte, was ich erst in Berlin erfahren habe ist ein Geschäftskniff Wolff’s, der wünschte, daß Bülow persönlich für dieses allermodernste sinfonische Werk eintrete u. damit einen Schlag gegen den Wagnerverein führe durch den Beweis, daß die Firma Wolff nicht bloß gut abgelagerte, sondern auch die allerneuesten Artikel führe. Das ist mir u. Rösch ganz u. gar klar geworden.

Daß mir die total verfehlte Aufführung durch Bülow (denn einreden kann man bei Bülow wenig, er ist sehr empfindlich, nach dem genauen Inhalt des Don Juan hat er sich überhaupt nie erkundigt) nur Ärger u. Qualen bereitet hat, werdet Ihr nun verstehen, wenn im Euch sage, daß ich nicht nach dem Erfolge ringe u. kein berühmter Componist aus Mißverständniß werden will, wenn ich sehe, daß meine Mitteilung [2v] an das Publicum nicht verstanden werden konnte. Ich will meiner Kunst ehrlich dienen u. scheue keinen Mißerfolg, wenn ich nur die Gewißheit habe, daß diese meine Mitteilung richtig u. correct vor das öffentliche Forum gelangt.

Ein Erfolg auf einer anderen Basis ist mir gleichgültig, ja mehr: widerlich!

Und nun mußte man im̅er stillschweigen, die Aufführung bewundern, ich wollte keinen Skandal machen, ich bin nur froh, daß Ritter nicht da war, das wäre was für ihn gewesen.

Wenn der Componist nicht dagewesen wäre u. somit die Möglichkeit einer allen Intentionen entsprechenden Aufführung ausgeschlossen – aber wenn ich da bin, ein Genie wie Bülow sich vergeblich abquälen sehe u. eines infamen Judenkniffes wegen die Hände in den Schoß legen muß, [3r] das ist fürchterlich. Zudem im̅er der Jude Marsop da u. ich kann den Kerl in Bülows Gegenwart nicht die ihm schon längst zugedachte grandiose moralische Ohrfeige versetzen, er hat Lunte gerochen u. sich wohl gehütet, mir ohne Bülow in die Nähe zu kom̅en, ah! Pfui Teufel!

Gott sei Dank, hat mir der gestrige Abend die in̅ere Genugtuung gebracht, mein Werk dem Berliner Publicum in der richtigen Form vorzuführen! Ich hatte mich über Program̅ u. Ausdruck der einzelnen Hauptstellen mit den ersten Bläsern u. dem Concertmeister genau verständigt u. die große Freude, das vortreffliche philharmonische Orchester so genau ohne Probe auf meine Tempi, Modification, überhaupt auf alle meine Intention eingehen zu sehen, daß die Aufführung kolossales Furore machte u. Lessmann, Eichberg u. viele Leute ihrem Erstaunen darüber Ausdruck gaben, daß sie [3v] nun erst Don Juan verstanden hätten, daß es kein ein ganz modernes Werk wäre etc. etc.

Ich habe das Stück um ein gutes Drittel scheller genom̅en, Bülow hat fast im̅er Viertel geschlagen, wo ich Leidenschaft wollte, hatte er breites Pathos, die einzige Stelle (Beginn der großen Schlußsteigerung), wo ich breiter anfange, überhetzte er in der Probe so, daß es die Bläser kaum herausbrachten, [(]darum habe ich nun doch gebeten), aber so viele kleine wesentliche Details waren im Ausdruck meist das Umgekehrte geworden, was ich wollte – u. dabei hat er an dem Abend die Haydnsche Sinfonie u. das Lohengrinvorspiel so wundervoll herrlich dirigirt[.] – Sollte wirklich der Componist eines Stückes der schlechteste Zuhörer sein? Ich glaube, ja, so wie es man sich gedacht hat, kann es einem keiner machen u. [4r] selbst ein Bülow nicht, das ist mir nun ganz klar!

Was muß Wagner bei Aufführungen unter Dirigenten, die kein Bülow waren, ausgestanden haben; wie verstehe ich nun Ritter u. seine Faule Hans Geschichten mit Levi! Bitte, grüßt Ritter u. Thuille tausendmal u. zeigt beiden diesen Brief unter dem Siegel der Verschwiegenheit, ich mag das unerquickliche Zeug nicht noch einmal schreiben, nun, ist es von der Leber weg u. erledigt! Von nun an dirigire ich imm̅er selbst oder höre es mir nicht an, das steht fest! So war mir der Berliner Aufenthalt eine sehr gute Lehre, Gott sei Dank, daß ich aus dem Judennest wieder heraus bin!

Sonst bin ich wohl u. munter u. freue mich herzlich, von Euch das gleiche zu hören. Rösch wird demnächst an Ritter ausführlich [4v] schreiben!

Für heute lebt wohl u. seid, liebe Eltern, sowie die gute Hanna tausendmal gegrüßt

von

Eurem

ruhmgekrönten (!)

Richard.

Die» Ehre« von Sudermann, die wir im Lessingtheater (Gott, wie heißt) gesehen haben, ist ein scheußlich Judenstück!

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: [unbekannt]

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [RICHARD STRAUSS AN ELTERN u. SCHWESTER 1886–1893, Nr. 220] (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-07-25

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 128–130.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02114 (Version 2018‑01‑26).

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