Brief
Engelbert Humperdinck an Richard Strauss
Mittwoch, 18. November 1891 / Mittwoch, 18. Februar 1891 (fälschl.), Frankfurt (Main)

relevant für die veröffentlichten Bände: III/6 Tod und Verklärung

[1r]

Mein lieber Freund,

ich kann mir nicht versagen, von dem tiefen Eindruck, den mir dein »Tod und Verklärung« am vergangenen Freitag in dem hiesigen Museums-Concert gemacht hat, Dir zu berichten. Dieselbe Wirkung, die ich damals in Eisenach bei dem anhören dieser erhabenen und dabei so durch und durch wahren und tiefen Tondichtung empfand, stellte sich auch diesmal wieder bei mir ein, nur vielleicht in noch verstärktem Maße, da mir die Einzelnheiten von damals noch ziemlich gegenwärtig waren. Der Umstand, dass das Werk bei näherer Bekanntschaft immer mehr gewinnt, ist mir Beweis genug, dass […]man es [1v] hier mit einem Kunstwerk zu tun hat, das die Idee der Auflösung und – fast möchte ich sagen der Metempsychose, eines Fortlebens in einem höheren Zustande des Daseins, in einer gemeingültigen Form ausspricht, wie es bisher wol [sic] noch nicht geschehen ist. Es scheint mir immer gewisser zu sein, dass der Weg, den du eingeschlagen, der für dich richtige und für die Kunst überhaupt vielleicht der einzige mögliche ist, […]sofern man an eine Ffortschreitende Entwicklung glaubt. Ich möchte nichts sehnlicher, als bald eine Partitur des Werkes auftreiben, um gründlich einmal darin studiren zu können. Die Aufführung unter Kogels Leitung war vortrefflich, nur störte mich das gar zu schleppende Zeitmaß am Schlusse, das, wie ich mich erinnere, von dir damals etwas fließender genommen wurde. Das [2r] Publikum verhielt sich, wie zu erwarten war, geteilt, es schien das Bedürfnis vorzuherrschen, die Aufführung bald, womöglich im nächsten Winter zu wiederholen, wo die Wirkung ge  [?] jedenfalls eine bestimmtere sein wird; Was in hiesigen Zeitungen bei dieser Gelegenheit wieder für Weisheitschätze ausgekramt wurden, davon kannst du dir wol ungefähr eine Vorstellung machen …

Nun möchte ich dich fragen, wie es dir seit Bayreuth gegangen und ob deine Gesundheit in derselben erfreulichen Weise sich gehalten hat wie in diesem Sommer? Was macht deine Operndichtung? Ich weiß mich noch gut des Exposés zu erinnern, das du mir [?] damals so liebenswürdig warst im Wald mitzuteilen. Wenn du nach München schreibst, so vergiß nicht [2v] deine liebe Schwester recht herzlich von mir zu grüßen; Ihre Bekanntschaft ist mir eine der angenehmsten Erinnerungen vom letzten Sommer.

Für heute leb’ wol und behalte lieb

Deinen getreuen

E. Humperdinck

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), ohne Signatur (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Engelbert Humperdinck (handschriftlich)
    • Autopsie: 2021-12-07

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 65. Ausst. München 1964.
  • Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 214. Dort falsch datiert.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03067 (Version 2022‑11‑18).

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