Brief
Richard Strauss an Franz Strauß / Josephine Strauß
Montag, 16. November 1903, Berlin

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[1r]

Liebster Papa!

Schönsten Dank für Deinen lieben Brief: wir haben uns außerordentlich gefreut, daß es dir möglich war, Taillefer zu hören.

Du wirst nun wohl endgültig täglich wieder jünger, drum was Dir vor 2 Jahren nicht mehr vergönnt war, Proben meiner Musik zu besuchen, jetzt fängst du wieder an u. es bekom̅t Dir, wie mir scheint, vortrefflich: das ist ja famos. Es freut mich, daß Taillefer in München denselben Bombenerfolg hatte, wie in Heidelberg – mögen dann die Anderen die Melodik unvornehm finden u. darum herumnörgeln, was geht’s mich an. Wenn dies unaufrichtige Musik ist, na meinetwegen: mir sind dann aber sicher diese »unehrlichen« Einfälle lieber als der Andern [2v] »wahre« Gedankenarmut. Wie könnt Ihr Euch nur über das Gequassel aufregen? Müssen doch irgend was schreiben! – Du mußt mir, lieber Papa, verzeihen, daß ich so schreibfaul bin: aber wenn man, wie ich jetzt täglich 8 bis 10 Stunden am Schreibtisch sitzt u. Noten schmiert, so wird einem das Briefschreiben beinahe unmöglich. Sinfonia domestica ist nun bereits 60 Partiturseiten stark: ca. 100 bis 120 sollen bis Anfang Januar noch dazu kom̅en, da heißt’s fest schanzen. Dazu wöchentlich 2mal die verfluchten Meistersinger, die einen beinahe einen Tag arbeitsunfähig machen – Du verdankst ihnen im̅erhin heute dieses Lebenszeichen, denn mit dem Componieren geht’s heute höchst zäh. Heiß der Kopf, der Buckel müd – neben mir ein Paket unbeantworteter Geschäftsbriefe, die schon seit einer Woche still vergnügt meinen Schreibtisch zieren: dies eine Photographie Deines Sohnes heut Nachmittag. Wenn nicht Bubi ab u. zu neben mir einen [2r] frisch in der heutigen Turnstunde gelernten Purzelbaum schlüge, wärs etwas trübselig, da das andere, stets auffrischende Element des Hauses: meine Gattin bei der Schneiderin zur Anprobe von Amerikacostümen ist. Sonst sind wir aber alle wohl, auch Pauline hat sich von den Strapazen des Umzuges u. den Schrecknissen von Bubis Unfall wieder etwas erholt u. übt täglich fleißig für ihren Londoner Liederabend. Wir dampfen am 5. Dz. [Dezember] nach England: ich dirigiere 7. und 8.ter in Edinburgh u. Glasgow (Euryantheouverture, Ingweldevorspiel, aus Italien u. Eulenspiegel), am 11. in London ein ganzes Berlioz[c]oncert, am 9.ten dazwischen der Liederabend. – Sonst gibts nicht viel Neues zu berichten, was Ihr nicht selbst schon aus der Zeitung [wisst], denn ich lebe nur zu Hause u. sehe u. höre Nichts von der Welt. Unsere ganze Freude ist unsere herrliche Wohnung, schade daß Ihr sie nicht mal seht: Der Lift würde Papa auch conveniren. Vielleicht macht Ihr Euch im Frühjahr doch mal auf nach Berlin! Mit Hanna habe ich ein paar sehr [3r] angenehme Stunden in Heidelberg verbracht, soweit der Trubel u. die Menschheit ein gemütliches Zusam̅ensein zuließ.

In Mannheim habe ich Don Quixote dirigirt: recht gute Aufführung u. der schönste neue Concertsaal der Welt.

Hülsen ist nett u. charmant wie im̅er: Dienstag den 23.ten ist die 19.te Aufführung der Feuersnot: die noch im November auch in Hamburg herauskom̅en soll.

Nun lebt wohl für heut u. tausend Grüße.

Richard.

[unbekannte Hand:] Bubi schickt den lieben Großeltern einen schönen Gruß.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt (Autograph)

    • Hände:

      • unbekannt (handschriftlich)
      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330.I. Strauss, Familie, Nr. 512b (Transkriptionsgrundlage)

    Bibliographie (Auswahl)

    • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 281–282.

    Zitierempfehlung

    Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03675 (Version 2023‑06‑15).