Lieber Freund!
Da Sie selbst so freundlich zugestimmt haben und eine Aufführung durch die Breslauer in Wien Ihnen für Erreichung unserer Wünsche förderlich erscheint, habe ich heute Herrn Dr. Löwe mein Einverständniß mitgeteilt und ihm Kenntniß gegeben, daß Sie selbst, wofür er außerordentlich dankbar ist, sein Unternehmen in so echt künstlerischer Großmut unterstützen wollen. Hoffentlich schlägt die Sache nun nicht ins Gegenteil aus, indem es, statt der Salome die Wege in die Hofoper zu ebnen, ihr den Weg noch mehr verschließt. Das Orchester will Löwe ja vollzählig von Breslau mitbringen, die Beihilfe des genialen Roller für Dekorationen und Costüme nimmt er dankend an.
Ich habe ungern und zögernd zugestimmt, da es mir wirklich hart ist, Ihnen die Wiener Erstaufführung vorwegzunehmen, schließlich, bei den enormen Schwierigkeiten, mit denen Sie zu kämpfen haben, scheint mir ein großer Erfolg der Salome durch die Breslauer in Wien die einzige Möglichkeit fast, daß sich die maßgebenden Hof[118] kreise dem Einzug der Salome in die Hofoper nicht mehr verschließen können.
Hoffentlich sind Sie mir nun innerlich nicht doch darüber verstimmt; wenn dies der Fall wäre, würde ich heute meine Erlaubnis noch widerrufen; stellen Sie auch um Gotteswillen der Salome wegen keine Cabinettfrage! Wir brauchen einen Künstler von Ihrer Tatkraft, Ihrem Genie und Ihrer Gesinnung zu notwendig an solcher Stelle, als daß Sie der Salome wegen irgend etwas auf’s Spiel setzen dürften. Es wird schließlich auch so gehen!
Haben Sie nochmals herzlichst Dank für Alles und seien Sie mit Ihrer lieben Frau schönstens gegrüßt von Ihrem stets ergebenen
Richard Strauss