Brief
Richard Strauss an Pauline Strauss
Mittwoch, 26. Dezember 1906 (fälschl.) / Freitag, 28. Dezember 1906, Turin

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome, I/3b Salome (Weitere Fassungen)

[…]

[Seitenwechsel] [Richard Strauss:] Mein geliebtes P!

Beiliegende Nachricht über meine arme Mutter wird auch gewiß Dich erfreuen! Soeben erhalte ich Deinen lieben Brief, werde Hibler abschreiben, da ich große Fichte auch für überflüßig halte. Es tut mir so leid, daß Du noch im̅er an’s Zim̅er gebannt bist, ich wünschte Dir von dem heutigen Wetter hier, 0 Grad, Sonnenschein, etwas Schnee, windstill; ich ging heute Früh auf den Hügel dei Cappucini, wo ich eine prachtvolle Aussicht über die Stadt mit der unmittelbar dahinterliegenden Alpenkette im Schnee hatte. Dabei gedachte ich deiner Sehnsucht nach dem Gebirge u. habe mir folgendes ausgedacht, was Dir vielleicht Freude bereiten wird. Da es jetzt noch nicht rätlich ist, daß Du reisest, nehme ich mir Anfang Februar 14 Tage Urlaub (den ich mir für Ende September verrechnen lasse) u. gehe mit Dir in’s Gebirge, wohin Du willst, entweder nach Kainzenbad oder noch besser gleich nach St. Moritz, wohin ein direkter Engadinexpress fährt, wo das Wetter noch zuverlässiger, die Sonne noch stärker wirkt u. wo Du Dich sicher prachtvoll erholen wirst. Unterdessen hütet die Großmama, wenn sie nicht mitfahren will, Bubi und Haus. Ich glaube, das ist eine gute Idee: wie gesagt, ich wünschte mir, Dir eine rechte Freude zu bereiten. Hoffentlich gelingt es mir damit. Für solche Sachen ist eben doch das reichliche Geldverdienen gut, da kannst Du Dir dann so einen Luxus bequem [?] gönnen. Wir sparen uns dafür diesen Winter die Einladungen, die auch Geld kosten, von [sic] denen Du nur Arbeit hast. Ist’s Dir recht? –

Du sagst: »nicht ich hetze Dich nach Turin«. Ist’s schon recht. Aber wie nötig es ist, daß ich hier selbst nach dem Rechten sehe, bezeugt mir die Mailänder Salomeaufführung, wo Toscanini mit einem erbarmungslos [Seitenwechsel] wütenden Orchester die Sänger und das Drama (à la Mottl) einfach hingeschlachtet haben soll. Es ist ein Wunder, daß das Werk dabei doch noch Erfolg hatte. Wäre ich aber nicht gleichzeitig hier u. zeigte den Leuten, wie das Werk aussieht, die Salome kön[n]te für lange Jahre für Italien verloren sein. Augenzeugen, die die Mailänder u. Turiner Aufführung gehört haben, bezeugen, daß es hier ein ganz anderes Stück sei. In Mailand spiele der Kapellmeister eine Sinfonie ohne Sänger, hier dagegen begleite das Orchester u. man verstehe von den Sängern jedes Wort. So ist das große Opfer, das ich mit dem hiesigen Aufenthalt bringe, doch wenigstens nicht verloren. Die gestrige hiesige Aufführung war wirklich vortrefflich. Bellincioni wächst sich auch stim̅lich im̅er mehr in die Rolle hinein, sie fesselt das Publikum u. hat tatsächlich durch ihre dramatische Begabung eine viel stim̅kräftigere Collegin in Mailand geschlagen. Daß es die Stim̅kraft allein eben doch nicht ausmacht, haben wir doch an der uninteressanten Leistung der Wittich gesehen. –

Meiner Abreise von hier stellen sich in soferne Schwierigkeiten entgegen, als der Portier des Hotels bei den enormen Zugverspätungen in Italien mich warnt, mich dem ½ 5 Uhr Früh abgehenden Personenzug anzuvertrauen. Es geht aber tatsächlich kein anderer Zug früher ab u. so muß ich’s wohl riskiren. Schlim̅stenfalls kom̅e ich erst am 1. Januar Früh 7 in München an, d. h. wenn ich den Anschluß in Mailand nicht erreiche. Scheußlich. Ich habe deßwegen bereits an die Schlafwagengesellschaft in Mailand geschrieben, wird aber wohl nicht viel helfen. [Seitenwechsel] Wie es auch kommen möge, auf jeden Fall bin ich am 2. Januar früh 8 Uhr in Berlin u. freue mich unendlich, wieder bei Euch zu sein. Hoffentlich darfst Du bis dahin ausgehen, ich wünsche Dir’s von Herzen, mein liebes, armes P. Ich habe mir in München mit Burk Berger Rendezvous gegeben, auch an Seidl habe ich geschrieben, daß ich manches mit ihm besprechen will. Wenn Du diesbezügliche Wünsche hast, schreibe sie mir, bitte, nach München. Ich bin vollkom̅en wohl, die kleine Erkältung ist längst vorbei, ich lebe so vorsichtig u. zurückgezogen, daß Du mit mir zufrieden sein kannst. Noch 2 Tage, dann ist Alles vorbei. Gott sei Dank! Ich werde Dir also nur Chokolade, natürlich geschmuggelt, mitbringen u. mich selbst (wenig genug, wirst Du Dir wohl denken, aber ein Schelm, der mehr gibt, als er hat.)

Wenn Du Marqu. behalten willst, dann behalten wirs eben. Ich thue ja Alles, was in meinen Kräften steht; wenn ich Dich nur ein bischen [sic] vergnügter sehen könnte u. wenn Du nicht das Unmögliche verlangst. Freust Du Dich nicht ein bischen auf mich? Und Anfang Februar schmeiße ich alle Arbeit in den Winkel u. wir gehen in’s Gebirge!

Lebt wohl, behaltet mich ein bischen lieb u. seid tausendmal umarmt u. geküßt von
Eurem
treuen R.

Herzliche Grüße an die liebe Großmama!

Bemerkung

Datierung des Briefs gemäß internem Briefeverzeichnis des Richard-Strauss-Archivs.

Der Brieftext folgt grundsätzlich dem Wortlaut der Photokopie des autographen Brieftexts, liegend im Richard-Strauss-Archiv in Garmisch-Partenkirchen. Auf dieser ist jedoch jeweils nach dem Seitenwechsel die erste bzw. zwei (nur bei Anrede) Textzeilen abgeschnitten. In diesen Zeilen folgt die Transkription dem Wortlaut der Edition: Franz Grasberger (Hrsg.): Der Strom der Töne trug mich fort. Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing 1967, S. 175 f.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
      • unbekannt (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [FAMILIENBRIEFE IV, 1906–1910, Nr. 228] (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-09-12

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 175–176. Mit falscher Datierung 26.12.1906. (Transkriptionsgrundlage)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d04014 (Version 2021‑09‑29).

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