Brief
Richard Strauss an Richard Strauss (jun.)
Jahreszahl gemäß Grasberger. Dienstag, 3. Oktober 1944, Garmisch-Partenkirchen

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan, III/6 Tod und Verklärung

[1r]

Lieber Richardi!

Der Besuch Deiner lieben, tapferen Mutter war uns eine große Freude.

Eure Mama ist ein Engel, seid recht artig, aufmerksam, liebevoll u. folgsam zu ihr, daß sie keinen Ärger mit Euch u. keine Aufregungen hat. Ihr Anmeldebr[ief] ist bis heute nicht angekom̅en. Es war also die reinste u. schönste Überraschung. Gott sei Dank, daß sie von Euch Lausbuben das »übern Zaunsteigen« gelernt hat, sonst wäre sie uns auf der Zöppritzstr. erfroren! Du verdankst dies[en] eigenhändigen Brief (Manuscriptwert 51 Mark 30 Pf.) der Mitteilung Deiner Mutter, daß Du fleißig Klavier übst u. wieder Harmonielehreunterricht hast. Das freut mich sehr u. Du wirst später selbst den Lohn davon haben, wenn Du einmal Partituren lesen kannst, wie Christian den Karl May. Denn zu hören wird man wohl bald nichts mehr von Nibelungenring[,] Salome, Daphne etc. geschweige denn sehen! Ich selbst habe von den Meistersingern oder Tristan heute noch reineren Genuß, wenn ich die Partitur mit richtigen Tempi lese, statt eine mittelmäßige Aufführung mit falschen Zeitmaßen meiner Herrn Collegen anhören zu müssen. Gott sei Dank, daß Du auch Deine Maturapauke noch schlagen kannst, damit Du nicht als vollkom̅ener Idiot ins Leben hinaus mußt u. nachher Dinge nachholen, die einem später schwerer fallen als vor dem 20. Lebensjahr. Der Bildungsgrund, den man in der ersten Jugend legt, ist kaum mehr zu ersetzen.

Sehr beruhigt hat mich, daß Ihr künftighin unsere Garage nicht mehr als Bunker benützen werdet u. auch sonst weniger leichtsinnig als bisher zu sein verspracht. [1v] Der 10. September hat mir doch einen höllischen Schrecken eingejagt.

Ich habe vorgestern begonnen, die Eulenspiegelpartitur noch mal zu schreiben, es ist gescheiter, als noch weiter altersschwache Originalwerke zu fabriziren. Don Juan u. Tod u. Verklärung werden nachfolgen u. sollen noch ein wertvolles Weihnachtsgeschenk für Euch bilden. Die Arbeit macht mir viel Spaß u. verhindert wenigstens, an andere Dinge zu denken, nachdem ich nun einmal auch eine ablenkende Skatpartie nicht u. an der armen Mama genug zu trösten habe. Was treibt denn der schlim̅e Christian? Bei Großalarm Fußballmatsch? Für so blöd habe ich ihn gar nicht gehalten!

Von der armen Anna haben wir keine Nachricht mehr, der brave Martin ist eben doch kein voller Ersatz! Mama u. er räumen soeben schon wieder im Keller! Nischt zu machen!

Nun leb wohl! Großmama grüßt Deine lieben Eltern, Euch 2 Rangen (ohne Griechisch! mein größter Kum̅er!) mit herzlichen Küssen!

Dein treuer Großpapa!

Dr. Heinrich u. Sohn sind vor 8 Tagen am großen Waxenstein abgestürzt u. tot. Waren geübte Bergsteiger!

Grüße Deinen Professor Schmid!

Seid Ihr schon beim Cantus firmus?

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [FAMILIENBRIEFE XIV, 1944–1948, Nr. 1680] (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-09-12

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 427–428.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d08042 (Version 2022‑11‑18).