Brief
Richard Strauss an Franz Wüllner
Dienstag, 3. Januar 1888 (ws.) / spätestens Sonntag, 8. Januar 1888 / Sonntag, 30. Januar 1887 (fälschl.) / Montag, 30. Januar 1888 (fälschl.), München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien, III/4 Macbeth
[1r]

Hochverehrtester Herr Doctor!

Vor allem Ihnen u. den lieben Ihrigen die herzlichsten, aufrichtigsten Glückwünsche zum Jahreswechsel. Da ich stets von neuem von Ihrer kolossalen Thätigkeit in Köln lese, darf ich wohl annehmen, daß Sie 1888 mit derselben Frische u. Gesundheit beginnen, mit der Sie 1887 beschlossen haben. Ich habe neulich gelegentlich einer recht nachlässigen u. gleichgültigen Aufführung der IXten unter Levi unter Schmerzen Ihrer großartigen Wiedergabe des Riesenwerkes am Palmsonntag 1884 in Dresden gedacht ! –

Mir geht es im allgemeinen recht gut, besonders da ich viel Gelegenheit habe, aus dem lieben München heraus[1v]zukommen; so war ich im Oktober in Leipzig, wo meine Fmollsinfonie einen sehr schönen Erfolg hatte. Anfang December war ich, einer Einladung der Societá del Quartetto folgend, in Mailand, wo ich 2 Sinfonieconcerte dirigirte mit folgendem Programm:

Ouverture Euryanthe
meine Sinfonie op. 12 Fmoll

Ouverture Leonore I
Kamarinskaja von Glinka
Meistersingervorspiel.

Ich habe als Componist u. Dirigent kolossale Erfolge gehabt u. bin riesig gefeiert worden, was einem zur Abwechslung (gegen München nämlich) auch wohlthut.

[2r] Meine Sinfonie wurde über Verdienst gepriesen, Scherzo mußte ich wiederholen; Meistersingervorspiel hat unter mir faktisch den ersten großen Erfolg dort errungen. Das ist doch reizend! Orchester sehr tüchtig, spielte in nur 6 Proben ganz famos klar u. schwungvoll; von ihm erhielt ich als Geschenk einen prachtvollen silbernen Taktstock. Reizende Bekanntschaften machten mir große Freude, ebenso der prächtige Bazzini. –

Ende Januar geht’s nach Berlin, wo ich am 23. in einem Bülowphilharmonischen Concerte meine italienische Fantasie, die soeben bei Jos. Aibl hier im Druck erschienen ist u. von der ich mir demnächst erlauben werde, Ihnen eine Partitur zu schicken, dirigiren werde. Außerdem habe ich soeben eine Violinsonate fertig, eine große sinfonische Dichtung für Orchester Macbeth ist beinahe vollendet. Sie sehen, ich bin auch ganz fleißig, [2v] wenn ich mich allerdings mit Ihnen als Arbeitskraft nicht im geringsten vergleichen kann. Darf ich nicht hoffen, Sie nächsten Sommer zur Ausstellung hier begrüßen zu können, wenn nämlich aus letzterer etwas wird? Ende Januar haben wir Verdi’s Otello zum 1ten male, sonst gibt’s hier absolut nichts neues. Das einzige bis jetzt war die Wagnersche Sinfonie, die mir sehr gefallen hat, besonders Andante u. Scherzo; das ganze Werk wimmelt, trotz großer Naivitäten u. unbedeutender Themen zum Teil, von Einfällen u. hat mich bis zum Schluß interessirt, natürlich darf man dabei den 19 jährigen Componisten nie außer Acht lassen. –

Nochmals die besten Wünsche u. die herzlichsten Grüße an Sie u. Ihre Familie von Ihrem

in ausgezeichnetster Hochachtung

stets dankbar ergebensten

Rich. Strauss.

1Bereits in der Edition von Kämper wurde die von Strauss angegebene Jahreszahl als falsch erkannt; gemeint ist 1888. Darüber hinaus dürfte auch der Tag falsch angegeben sein: Die angekündigte Vollendung des Macbeth fand am 8. Januar 1888 statt. Da vom Jahreswechsel die Rede ist, käme als richtiges Datum der 3. Januar 1888 in Frage (Dank an Walter Werbeck für den Hinweis).
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Sammlung: Musikabteilung, Signatur: Mus.ep. Strauss, R. 22 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: 2011-11-23

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Franz Wüllner / Dietrich Kämper (Hrsg.): Richard Strauß und Franz Wüllner im Briefwechsel (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, Bd. 51), Köln, 1963, S. 12–13. Dort bereits Hinweis auf falsche Jahreszahl im Autograph.
  • Edition in Gabriele Strauss (Hrsg.): Lieber Collega! Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten und Dirigenten, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 14), Berlin, 1996, S. 291–292.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01841 (Version 2021‑04‑12).