A. S.
[ohne Titel]
in: Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Bd. 36, Jg. 26, Donnerstag, 29. August 1895, Rubrik »Tagesgeschichte / Musikbriefe«, S. 456–458

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan

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Zürich, 12. Aug.

Die acht Abonnementconcerte der hiesigen Allgemeinen Musikgesellschaft und die Concerte des Gemischten [457] Chores Zürich und des Lehrer-Gesangvereins stehen nach wie vor unter der Leitung des Hrn. Capellmeister Dr. F. Hegar, der mit seinem 65köpfigen Concertorchester wahre Wunder eines auf das Feinste nuancirten, echt musikalischen Vortrags vollbringt. Man muss den Dirigenten an der Arbeit sehen, d. h. in den Proben, wie er da Alles nach und nach herausarbeitet, bis »Alles sich zum Ganzen webt, Eines in dem Andern wirkt und lebt«. Von Orchesterwerken gelangten im Laufe des Winters zur Aufführungen: Symphonien von Beethoven (Cdur), Haydn (Bdur, No. 8), Mozart (Esdur), Brahms (Emoll), H. Goetz (Fdur), Rubinstein (Dramatische) und Tschaïkowsky (Bmoll), Ouverturen von Cherubini (»Lodoiska«), Beethoven (»Coriolan« u. No. 3 zu »Leonore«), Rietz (Concert-), Brahms (Akademische Fest-), Mendelssohn (»Meeresstille und glückliche Fahrt«), Gade (»Ossian«), Glinka (»Kamarinskaja«) und Berlioz (»Vehmrichter«) und an weiteren Stücken: Dmoll-Concert für Streichorchester von Händel, Hmoll-Marsch von Schubert-Liszt, »Višehrad« von Smetana, »Sigurd Jorsalfar« von Edv. Grieg, »Don Juan« von Rich. Strauss, Trauermarsch aus der »Götterdämmerung« von Wagner, Scherzo von Rob. Radecke und Serenade für Streichorchester von O. Kahl. […] [458] […] Mehr als blos vorübergehendes Interesse erweckte wie billig der »Don Juan« von Richard Strauss; derselbe gehört jedenfalls zu den bedeutendsten und eindringlichsten Werken der Wagner’schen Gefolgschaft. Der Tondichter will erschüttern und ergreifen und schreckt vor den stärksten Mitteln nicht zurück; wir glauben ihm aber, weil gerade die sinnliche Energie, die er verkörpern will, dem Wesen der Musik keineswegs widerstreitet. Das Höchste ist es freilich nicht, was sie zu sagen hat; nicht durch die aufs Aeusserste gesteigerte Sinnfälligkeit, sondern durch eine möglichst treue Sinnbildlichkeit muss sie der Natur, die selbst niemals übertreibt, näher zu kommen suchen. Der raffinirte Naturalismus ist von ihr ebenso weit entfernt, wie das blosse Spiel mit gefälligen Formen. Gerade die »Coriolan«-Ouverture, die im gleichen Concert zur Aufführung gelangte, ist ein classischer Zeuge für die Vereinigung von Realismus und Idealismus, von eigentlichem und uneigentlichem Ausdruck, wie sie eben nur dem grössten Meister gelingt. Der »Don Juan« fesselt nicht da am meisten, wo er rast und erobert, sondern da, wo er bittet und sich auf ein fernes Glück besinnt, das ihm aus weiser Beschränkung hätte erblühen mögen. Wir meinen den Mittelsatz mit dem ungemein zarten, innig empfundenen Oboesolo.

(Schluss folgt.)

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43333 (Version 2018‑01‑26).

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