R. S.
[ohne Titel]
in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 97, Jg. 68, Heft 23, Mittwoch, 5. Juni 1901, Rubrik »Correspondenzen«, S. 314–315

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Breslau, 2. März.
[…]
15. März. XI Abonnementsconcert des Breslauer [315] Orchestervereins. Gast: Frl. Margarethe Peterson aus Kopenhagen.

Das Programm bot als Novität 3 Stücke (D moll, D dur, G moll) für Streichorchester und Orgel von Haendel, herausgegeben von Alois Schmitt. Alle drei Stücke sind von heiligem Ernst durchweht. Die Orgel verschmilzt sich mit dem Streichorchester zu einem kostbaren Ensemble, das Fülle und Wohlklang in sich birgt. Der Mittelsatz in D dur war besonders wirkungsvoll. Das Pizzikato der Streicher klang zu den anhaltenden Accorden der Orgel sonderlich schön. Herr Musikdirektor Ansorge sorgte für eine wohldurchdachte Registrirung und zeitgemäße Anwendung des Schwellapparats. Gegenüber diesen durch Ernst und Einfachheit sich auszeichnenden Stücken stand die Don Juan-Tondichtung von Richard Strauß als contrastirendes Monstrum da. Strauß hat zu seiner Schöpfung die Lenau’sche Dichtung als Unterlage benutzt. Mit glänzender Meisterschaft führt er seine Intentionen durch. Glanzstellen des Werkes sind: der Carneval, die liebliche Melodie in der G dur-Episode und die titanenhafte Steigerung vor dem dumpf ausklingenden Schlusse. Verdient die orchestrale Ausführung hinsichtlich der grandiosen rhythmischen und technischen Schwierigkeiten auch volle Anerkennung, so befriedigte doch die Wiedergabe die verwöhnten Ansprüche des Breslauer Publikums nicht. Dem Dirigenten Herrn Singer fehlt der große, temperamentvolle Zug, der unserem leider so früh verstorbenen Maszkowski eigen war. Herrn Singer geht die Eigenschaft ab, das Orchester zu inspiriren und fortzureißen. Viel besser fand er sich mit der G dur-Symphonie von Haydn (Nr. 7 der Berliner Partitur) ab. Hier boten die stilgerechte Auffassung und die lebendige Ausführung dem Hörer einen ungetrübten Genuß. Für Frl. Behr in Berlin, welche in letzter Stunde abgesagt hatte, sprang Frl. Peterson mit bestem Erfolge ein. Frl. Peterson verfügt über eine gut ausgeglichene, weiche Mezzosopran-Stimme, die besonders im Piano von berückender Schönheit ist. Die Künstlerin sang Lieder von Schubert, Rückauf, Chopin und Bungert. Für alle Gesänge standen ihr die richtigen Ausdrucksmittel zur Verfügung. An Zugaben spendete sie »Niemand hat’s gesehn« von Loewe, »Gelb rollt mir zu Füßen« von Rubinstein und »Ich liebe dich« von Grieg. Im letzteren Liede wurde der Gefühlsinhalt von Wort und Ton nicht erschöpft. Als Begleiter am Klavier fungierte Herr L. Schytte aus Wien. Er spielte das Accompagnement zu sämtlichen Lieder feinsinnig und anschmiegend frei aus dem Gedächtnisse. Das von der Sängerin vorgetragene, vom ihm arrangirte ungarische Volkslied »Hoch in der Luft der Adler sich schwingt« litt unter der unrichtigen Anwendung der musikalisch-deklamatorischen Regeln. Unbetonte Silben fielen häufig auf den guten Takttheil. Sonst konnte man die kleine Arbeit als wohlgelungen und dankbar für den Vortrag bezeichnen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44015 (Version 2018‑01‑26).

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