F. S.
[ohne Titel]
in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Jg. 38, Heft 306, Samstag, 4. November 1893, Zweites Morgenblatt, Rubrik »Kleines Feuilleton«, S. 1

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Frankfurt a M., 3. November.
[Zweites Museums-Concert.]

Drei symphonische Stücke von sehr unterschiedlichem Inhalt, aber von hervorragender Bedeutung, zierten das heutige Programm: Gluck’s klassisch edle Ouvertüre zu »Iphigenie in Aulis« mit dem Schluß von Richard Wagner, Brahms’ gedankenreiche Symphonie Nr. 2 in D-dur und die Tondichtung »Don Juan« von Richard Strauß. Letztere, vor drei Jahren von dem Komponisten in Person hier eingeführt, erlebte heute ihre erste Wiederholung, und wir konstatiren mit besonderer Freude, daß uns das geniale Werk heute noch weit besser gefiel wie das erste Mal. Strauß hat den dichterischen Stoff, der ihm die Anregung zu seiner Tondichtung bot, in glühenden Farben illustrirt, seine Motive sind kühn erfunden, seine Sprache ist beredt und phantasievoll, und der Reichthum des instrumentalen Kolorits geradezu erstaunlich. Trotzdem der Stoff episodenhaft, erscheint das Ganze keineswegs formlos, denn wenn auch in wenig scharf umrissenen Grenzen, läßt sich gleichwohl eine künstlerisch bestimmte Form deutlich erkennen. Sicherlich gebührt Richard Strauß unter den lebenden Komponisten eine der ersten Plätze, und ebenso gewiß, ja noch rückhaltsloser würden auch seitens des Publikums seine Vorzüge anerkannt werden, wenn er sich in der Anwendung seiner instrumentalen Hilfsmittel etwas mehr Zurückhaltung auferlegen möchte. Ein Beckenschlag kann von gewaltiger Wirkung sein, wenn er, wie viele Beispiele zeigen, zu richtiger Zeit und als Gipfelpunkt angewandt wird, ein sich stets wiederholendes Getöse der Becken aber muß lärmend und schließlich ermüdend wirken. Die Ausführung sämmtlicher Werke unter Herrn Kapellmeister Kogel’s Leitung verdient uneingeschränktes Lob, die Wiedergabe der außerordentlich schwierigen Tondichtung von Strauß aber ganz besondere Anerkennung. Als Gesangssolistin war die hier allseitig beliebte Kammersängerin Frau Lilli Lehmann aus Berlin thätig. Die Künstlerin erzielte bedeutende Erfolge mit der Arie »Abscheulicher!« aus »Fidelio«, die sie mit wohl abgewogenem Vortrag, allerdings aber auch nicht ohne einige im Concertsaal wahrnehmbare kleine theatralische Beleuchtungseffekte sang. Ihre Stimme ist immer noch von schönem Wohlklang in der tieferen und mittleren Lage, und nur in der Höhe spricht sie stellenweise weniger leicht an wie früher. In der zweiten Abtheilung des Concerts erschien Frau Lehmann in Begleitung des Komponisten Alexander Bungert auf dem Podium, um dessen Bekanntwerden sie sich namentlich in Berlin durch Veranstaltung von Bungert-Liederabenden, wie es scheint, mit Erfolg bereits bemüht hat. Ob es ihr gelingen wird, diese Lieder wirklich populär zu machen, wozu auch gehört, Kollegen und Kolleginnen zu Nachahmung ihres Beispiels anzuregen, möchten wir nach den heutigen Proben nicht unbedingt bejahen. Bungert beschäftigt sich bekanntlich hauptsächlich damit, die Poesien der unter dem Pseudonym Carmen Sylva dichtenden Königin von Rumänien in Musik zu setzen. Dabei ist ihm manch’ guter Wurf gelungen, aber so gewiß es Dichtungen gibt, die sozusagen nach Musik schreien, so gewiß befinden sich unter den vorgeführten Liedern Sachen, die durch die Sprödigkeit des Textes eine musikalische Behandlung des Stoffes als sehr gewagt erscheinen lassen, wie das Lied vom Mäusethurm und der Loreley. Daneben möchte man bei der Art der Bungartschen Phrasierung in manchen Strophen, wie z. B. bei dem Schluß des Rheingrußes »Komm, rausch’ empor zu mir« ein dickes Fragezeichen setzen. Stimmungsvoll und charakteristisch im Ausdruck schien uns von den vorgeführten Rheinliedern »Bacharach« und von den übrigen Sachen das düstere »Sein Weib« und das trotz seiner textlichen Schwierigkeiten glücklich gefaßte Lied »Die Rettung Mosis«. Leider ging von der Klavierbegleitung, die der Komponist selbst ausführte, in dem großen Raume viel verloren, womit wieder einmal der Beweis erbracht wurde, daß unbekannte Gesänge, bei welchen der Begleitung eine so wichtige, illustrirende Aufgabe zugewiesen ist, sich in den Rahmen eines großen Orchesterconcerts nur schwer einfügen lassen. Ob es ferner räthlich erscheint, in einem Museumsconcert nicht weniger als sieben Lieder eines modernen Tonsetzers Platz zu lassen, bleibt daneben noch eine Frage für sich.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44063 (Version 2018‑07‑09).

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