Brief
Richard Strauss an Franz Strauss (sen.) / Josepha Strauss
Sonntag, 20. April 1902, Berlin

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome
[1r]

Liebe Eltern!

Ich habe eine saure Woche hinter mir: Meistersinger, der ganze Ring u. Entführung in 11 Tagen und nun kom̅t eine ganze Woche mit Proben zu Robert, der doch wirklich der grausamste Schund ist, der jemals zusam̅engeschmiert wurde. Der erste Akt u. die Balletmusik mögen ja angehen: aber das übrige (besonders der 5.te Akt) – das ist direkt zum Speien. Na, auch das wird vorüber gehen u. der Graf Hochberg seine Quittung dafür auch in Form eines bedeutend verlängerten Som̅erurlaubs erhalten, um so mehr als Muck jetzt auf 5 Wochen in Urlaub gegangen ist, um noch vor Bayreuth ein nervöses Kopfleiden bei Dr Lahmann in Dresden auszukuriren. Wenn er wieder kom̅t (so um Pfingsten herum), beabsichtige ich zu gehen, zuerst zum Musikfest nach Düsseldorf, von da vielleicht [1v] schon nach England, 7. bis 10. Juni in Crefeld u. dann 3 Wochen Marquartstein. Juli u. August in die Schweiz, wahrscheinlich in die Gegend von Zermatt, Saas Fee etc. Hochberg ist sehr liebenswürdig u. wird nicht abschlagen. –

Von Mahler erhielt ich heute die hocherfreuliche telegrafische Nachricht, daß mit einem neuen zugkräftigen Ballet zusam̅en die 5. Aufführung von Feuersnot gestern sehr gut ausgefallen ist u. er das Werk nunmehr zu halten hofft.

In Dresden ist morgen die 10. Aufführung: ich will mit einigen Herren vom Theater (Kunrad, Chordirektor, Solorepetitor) u. Hauptmann Schilling hinüberfahren.

Am 27. fahre ich dann nach Bremen, woselbst die Première am 30. stattfinden soll.

Am 1. Mai lasse ich mich als Maifeier impfen, da in [2r] London die Blattern herrschen.

Halir geht in 8 Tagen nach London, u. hatte 14 Tage lang scheußliches Impffieber.

Ich beginne jetzt langsam wieder ein bischen [sic] zu componiren: arbeite peu a peu an einer Ballade für Soli, Chor u. Orchester (Taillefer von Uhland), ebenso peu a peu an einer größeren sinfonischen Dichtung. Aber es geht am Ende einer anstrengenden Saison sehr zäh u. spärlich: ordentliches wird, hoffe ich, erst der Som̅er bringen. Auch eine einactige Oper (als Pendant zu Feuersnot) ist projektirt, falls dem Textdichter: Anton Lindner in Wien, der in Aussicht genom̅ene Text gelingt.

Seit 2 Tagen haben wir endlich auch schönes, warmes Wetter, können in den prächtigen Grunewald, gestern war ich mit Pauline im Park zu Treptow) [sic] im Osten Berlins, wirklich Alles sehr hübsch u. comfortabel.

[2v] Seid Ihr noch in Aibling? Wie lange wart Ihr da? Hoffentlich ist es Euch gut bekom̅en.

Wenn Papa sich erheitern will, soll er sich aus der Leihbibliothek säm̅tliche Wiener Skizzen von Ed. Pötzl holen lassen: Sachen von köstlichem Humor, auch bei Reclam j [?] Universalbibliothek in der 20 Pfennigausgabe billigst zu kaufen.

Sonst geht's uns gut: wir schmachten nach dem Som̅er, der ja nun auch nicht mehr lang auf sich warten lässt: der wilde Wein in unserer Loggia setzt schon Knospen an, Paulines Laubfrosch sitzt im̅er auf der obersten Stufe seiner Leiter, da kanns ja nicht fehlen [sic].

Auf frohes Wiedersehen im Juni! Tausend Grüße von Pauline
u. Eurem
Richard.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Quellennachweis

  • Original: [unbekannt] (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [RICHARD STRAUSS AN ELTERN U. SCHWESTER, 1894–1949, Nr. 542] (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2016-11-15

      • Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330.I.Strauss, Nr. 474a

        • Autopsie: 2017-12-21

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 256–259.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03515 (Version 2019‑04‑12).

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