Brief
Fritz Busch / Sächsische Staatsoper [Org.] an Richard Strauss
Samstag, 2. August 1930 (ws.) / Montag, 11. August 1930 (?), Dresden

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3b Salome (Weitere Fassungen)
[1r]

Sächsische Staatstheater
Der Generalmusikdirektor

[Richard Strauss:] bea. [beantwortet]

[maschinenschriftlich:] Herrn
Dr. Richard Strauss
Garmisch-Partenkirchen

Lieber Herr Doktor,

Reucker schickt mir den Durchschlag eines sehr freundlichen Schreibens von Ihnen, unsere Einladung, Sie möchten die Salome dirigieren, betreffend. Erlauben Sie mir, kurz dazu einiges Prinzipielles zu sagen. Der Jubiläumstag liegt am 9. Dezember,; selbstverständlich bestand die Absicht, dass ich an diesem Tage die Salome dirigiere, und die Tage vor dem 9. Dezember sind deshalb in meinen Dispositionen für die Proben frei geblieben. Ich brauche Ihnen nicht zu betonen, dass ich seit meinem fünfzehnten Jahr die Salome kenne und unverändert als ein Meisterwerk liebe, sodass ich mich immer freue, wenn ich Gelegenheit habe, sie zu dirigieren. Am 9. Dezember singt Frau Pauly, die auch für alle Wiederholungen in Frage kommt, da wir eine bessere Vertreterin zur Zeit nicht haben. Anders liegt der Fall mit der Salome, die unter Ihrer Leitung für Mitte September vorgesehen ist. Auf Ihren Wunsch sollte Frau Rajdl die Titelpartie singen,; das ist ein Experiment, dessen Erfolg keineswegs gesichert ist, wenn es auch allenm Interessen begegnen dürfte. Vergessen Sie nicht, dass die Salome im Laufe der 25 Jahre »klassisch« geworden ist und das Publikum sich im weitesten Sinne sich gewöhnt hat, die Partie »hochdramatisch« zu hören. Dazu gehören ein berauschender Orchesterklang, grosse [1v] Steigerungen u.s.w., und es ist durchaus ungewiss, wie man sich auf einen kammermusikalisch, jedenfalls aber stark zurückgehaltenen Orchesterklang einstellen wird. Offengestanden scheue ich mich persönlich, dieses Experiment – auch dem Komponisten gegenüber – zu vertreten und überlasse es lieber dem Schöpfer selbst, mit seiner Autorität einen Versuch zu decken, der dann, vielleicht, im Falle Rajdl ein Erfolg werden kann, weil die Künstlerin in Vielem ausgezeichnet für die Partie disponiert und bei Publikum und Presse sehr beliebt ist. (Sie wurde auf drei Jahre neu verpflichtet, nur mussten wir uns einverstanden erklären, daß die Dame auf vier Monate im Jahr nach Chikago geht.)

Aus oben angeführten, künstlerischen Bedenken möchte ich die Salome Mitte September mit Frau Rajdl nicht gern kreieren und hielte es für das einzig Richtige, Sie würden es selbst tun. Hinzu kommen praktische Erwägungen. Solange wir auch den von mir sehr ersehnten, halbwegs »erstklassigen« Kapellmeister noch nicht gefunden haben, bedarf ich dringend einer Unterstützung. Wie die Verhältnisse in Dresden liegen, sind Sie uns, wie Sie ja wohl auch stets gefühlt haben werden, immer der am Willkommensten gewesen. Es sind nicht »unwichtige Sachen«, mit denen ich mich in dieser Zeit plagen muss, sondern Neueinstudierungen von »Cosi« und »Falstaff« und einer Reihe weiterer Opern, in denen das stark veränderte und vergrösserte Personal unter meiner Leitung erstmalig herausgestellt werden muss, mit dem ich mich abzuplagen habe. Dazu kommt eine Art Musikfest mit der Uraufführung einer kleinen Oper von Schoeck und einem Konzert zeitgenössischer Komponisten anlässlich der Tagung des Reichsverbandes deutscher Tonkünstler Anfang Oktober; Angelegenheiten, die doch auch nur von mir erledigt werden können. So fehlt mir Mitte September einfach die Zeit von wenigstens 5 Tagen, die ich benötige, die Salome [2r] 2. Blatt an Herrn Dr. Richard Strauss.Salome [sic] neu herzurichten, zumal, wenn starke instrumentale Retuschen notwendig sind. Am [10]. Oktober aber geht »Frau Lord zu Schiff nach England« (U.S.A.) und steht erst am [1]. März [1931] wieder zur Verfügung.

Lassen Sie mich, lieber Herr Doktor, zusammenfassend den folgenden Vorschlag machen: dirigieren Sie Mitte September mit zwei Orchesterproben die Salome mit Frau Rajdl in einer von Ihnen retuschierten orchestralen Fassung; Wiederholung am [17]. oder [18]. September, sodass Frau Rajdl sie mindestens zweimal vor ihrer Abreise gesungen hat. Eventuell dirigiere ich ohne mit kurzer Probe sehr gern noch weitere Aufführungen vor dem [10]. Oktober, falls das Experiment glücken sollte. Ich sehe nicht ein, warum ich Ihnen die Salome nicht nachdirigeren soll; eine Prestigefrage existiert für mich, wie Sie wissen, niemals in solchen Dingen. Wenn die Pauly im Dezember dann die Jubiläumsaufführung singen sollte, nehmen wir die Originalfassung, für die mir dann eine Orchester-Verständigungsprobe genügt.

Bitte, lieber Herr Doktor, haben Sie die Güte, mir ein Telegramm zu schicken (Adresse: Bärenfels bei Kipsdorf im Sächsischen Erzgebirge), ob Sie meinen Vorschlag akzeptieren wollen. Für uns wäre Ihre Zusage eine grosse Freude und Erleichterung in unseren Dispositionen.

Für heute will ich schliessen und bin mit den herzlichsten Grüssen an Sie und Ihre verehrte Gattin
Ihr Ihnen immer aufrichtig ergebener
[Fritz Busch:] Fritz Busch.

1Zwei mögliche Lesarten des Datums: 2. oder 11. August 1930; vgl. die weiteren Datumsangaben in diesem Dokument, bei denen die Zahl »1« jeweils als »I« typiert sind.

Bemerkung

Der vorliegende Brief liegt als Typoskript (Richard-Strauss-Archiv) und Typoskriptdurchschlag (Max-Reger-Institut) vor. Die Transkription folgt dem Typoskript, das einen vorgedruckten Briefkopf aufweist.

Der vorgedruckte Briefkopf sowie die vorgedruckte Datums-und Ortsangabe befinden sich jeweils auf Bl. 1r und Bl. 2r oben. Der besseren Lesbarkeit halber wurde dieser Vordruck für Bl. 2r stillschweigend nicht transkribiert.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Quellennachweis

  • Original: Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: ohne Signatur (Typoskript) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • unbekannt (maschinenschriftlich)
      • Fritz Busch (handschriftlich)
      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: 2015-10-13

  • Original: Max-Reger-Institut (Karlsruhe), Sammlung: Brüder-Busch-Archiv, Signatur: B 5814 (Typoskript)

    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d30472 (Version 2021‑09‑29).

Versionsgeschichte (Permalinks)