Helm, Theodor
[ohne Titel]
in: Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Bd. 7, Jg. 31, Donnerstag, 8. Februar 1900, Rubrik »Tagesgeschichte/Musikbriefe«, S. 88

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien
Wien.

Beginnen wir heute mit unseren vornehmsten Orchesterconcerten, den Philarmonischen. […]

2. Concert (10. November): Richard Strauss, »Aus Italien«, symphonische Phantasie (Gdur) – für Wien Novität; sodann nur noch ein classisches Werk folgend: Beethoven’s 2. Symphonie in Ddur. Bezüglich der Phantasie »Aus Italien«, welche in so interessanter Weise die Brücke zwischen dem Schaffen des absoluten Musikers und des Programm-Musikers Richard Strauss bildet, hätte ich nur gewünscht, dass alle Concertbesucher vor dem Anhören des poetischen Werkes dessen vortreffliche Besprechung gelesen hätten, welche in den Nummern 17, 18 und 19 des Jahrganges 1889 unseres »Musik. Wochenbl.« erschienen ist. Auch verschiedene eingefleischt conservative Wiener Musikkritiker hätten sich den ebenso geistreichen, als eminent fachmännischen Aufsatz vorher zu Gemüthe führen können, dann wären nach dem Concerte über die schöne Strauss’sche Tondichtung weniger schiefe Urtheile zu vernehmen gewesen, sowohl seitens jener reactionär verbohrten journalistischen Herren selbst, als in den Kreisen ihrer blinden Nachbeter. Mich hat das Werk von der ersten bis zur letzten Note musikalisch und poetisch zugleich angeregt, Letzteres ganz besonders in seiner dritten Abtheilung, dem mit wahrer Meisterhand gemalten stimmungsvollen Seebilde »Am Strande von Sorrento«, wo Jeder unwillkürlich an mondbeglänzte Meereswogen und süssen italienischen Serenadengesang denken wird. Beim Publicum hob sich der Erfolg des von den Philharmonikern unter Mahler’s Leitung ganz ausgezeichnet vorgetragenen Werkes erst von den beiden letzten Sätzen mit der Deutlichkeit der Wiedergabe des poetischen Vorwurfes. Ein Murmeln der Ueberraschung ging durch den Saal, als man in der Hauptmelodie des bacchantisch erregten Finales, betitelt »Neapolitanisches Volksleben«, jenen durch unser Prater-Venedig (»Venedig in Wien«) so überaus populär gewordenen Gassenbauer »Funiculi–funiculà« erkannte, welchen die neapolitanischen Maulthiertreiber als Spottgesang wider die auf den Vesuv führende Drahtseilbahn anstimmen. Die excentrische Kühnheit, mit welcher Strauss in seinem Finale die schneidige, scharf rhythmisirte Volksweise durchführt, verbunden mit der Bekanntheit des Motivs und der wirklich ganz ausserordentlichen Leistung unseres Orchesters, verschafften dem Schlusssatze der in Rede stehenden italienischen Phan[89]tasie einen nicht enden wollenden stürmischen Beifall, dem zufolge sich, wie das bei uns so üblich ist, alle Musiker dankend von ihren Plätzen erheben mussten. Von der hierauf weiter noch gespielten Beethoven’schen Ddur-Symphonie und besonders der Wiedergabe ihres reizenden Larghettos gilt ganz das, was oben von Mahler’s Auffassung allbekannter classischer Tonwerke überhaupt gesagt. Eine Fülle schöner, geistreicher Einzeleindrücke, unter welchen aber nicht Alle den wahren Intentionen Beethoven’s zu entsprechen schienen.

(Fortsetzung folgt.)

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43639 (Version 2021‑04‑12).

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