Brief
Richard Strauss an Franz Strauß
Sonntag, 20. Dezember 1885, Meiningen

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[1r]

Lieber Papa!

Nachdem ich gestern nur in Eile ein Paar Zeilen hinwerfen konnte, will ich heute etwas mehr schreiben. Perfalls Vorschlag ist[,] glaube ich, das beste, was sich für mich vorläufig findet, Bülow wird wohl kaum mehr hieher kommen, u. […][so] wird wohl aus dem hiesigen Orchester nicht viel gutes werden. Was ich von hier profitieren konnte, werde ich im April genügend profitirt haben, u. so meine ich werde ich Perfall nach den So[…][mmer]ferien zur Verfügung stehen. Ich möchte gerne im Mai […][nach] Ober-Italien, und wenn Levi im August noch in Bayreuth ist, so bietet sich ja für mich der schönste Anfang. Eine sch[…][önere] [1v] Stellung bietet sich, glaube ich, für mich vorläufig nicht: Der junge Mann hat Glück! Ich habe gestern Abend noch an Bülow geschrieben u. um seinen Rath gebeten, eine notwendige Pflicht der Höflichkeit u. Dankbarkeit für meinen verehrten Meister. Wenn ich seine Antwort habe, werde ich Perfall u. Levi schreiben. Durch die täglichen Proben eigne ich mir große Gewandtheit im Dirigieren an, ich habe einen sehr guten Sinn für Tempo’s u. habe schon ein paar Mal, die Schubertsche h-moll, die Manfredouvertüre vom Blatt dirigiert, ohne die Partitur vorher angesehen zu haben, u. habe die Tempis u. alle Modificationen auf den Tupfen erwischt, zum Entzücken von Ritter, der ein reizender, sehr gebildeter Mensch u. mit dem ich viel [2r] verkehre. Auch seine Familie ist reizend. Ich komme außerdem gerne mit Schauspielern zusammen, Arndt, Teller, Bertel[,] Grube, Nollet u. war gestern in der »Schlaraffia« mit Ritter, wo es sehr fidel war. –

Die Thuillesche Sinfonie ist ein sehr schönes, reizend instrumentirtes Stück u. wird durch ihren flotten Zug, den gemütlichen Menuett u. das tiefe, tragische Adagio großen Effekt beim Publicum machen. Ein Vergleich mit der meinigen ist schwer, es ist eine ganz andre Art. Gestern habe ich 2 Haydnsche Sinfonien durchgespielt u. die 2. Beethoven studirt. So ein bischen klassische Musik, die kein Rubato verträgt, thut dem Orchester sehr gut. Morgen beginne mit den Proben [2v] fürs Concert. Übermorgen, also Dienstag den 22. macht Radeke meine Sinfonie in Berlin; ich kann leider nicht hin. Meine Serenade scheint in Leipzig gefallen zu haben, in den Signalen steht eine sehr gute Kritik darüber. Hört! Übrigens ist dies Musik für die Leipziger. –

Daß es Mama stetig besser geht, freut mich sehr, mir geht es gut. An L[…] habe ich bereits vor 8 Tagen geschrieben.

Die Stellung in München wäre auch fürs Militär wesentlich, um los zu kommen. Bleibt gesund, es grüßt Dich, die liebe Mama, die gute Hanna, Pschorrs, Thuille etc. herzlich

Euer

R.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330.I. Strauss, Familie, Nr. 61b (Transkriptionsgrundlage)

    Bibliographie (Auswahl)

    • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 73–74.

    Zitierempfehlung

    Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01685 (Version 2023‑06‑15).