Brief
Richard Strauss an Cäcilie Wenzel
Freitag, 16. April 1886, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[1r]

Meine liebe, süße Cäcilie!

Schönsten, besten Dank für die reizende Photografie und Deinen lieben Brief, den ich vor meiner Arbeit noch rasch beantworten will. Ich habe mich nun doch zur italienischen Reise entschlossen und fahre morgen Abend 8.10, direct nach Rom, wo ich über Ostern bleiben werde, dann Neapel, Capri, Pompei 8 Tage, wieder zurück nach Rom, dann 6 Tage auf Florenz, 4 in Venedig pp., im ganzen 5 Wochen.

Ich freue mich kindisch auf das »gelobte Land« für jeden Künstler, hoffentlich verschont mich Cholera und Blattern. Werde ich mit Blatternarben zurückkommen? Prr! Da möchtest Du mich [1v] wohl gar nicht mehr lieb haben? Göthe hatte zwar auch Blatternarben, doch werde ich mich von dieser Verschönerung wohl zu bewahren suchen, Dir zu Liebe. –

Was fällt Dir übrigens, mein liebes Kind, ein, an einen

»geehrten Herrn Musikdirector«

einen Brief zu schreiben. Drei gräßliche Worte; trotzdem amüsirte ich mich darüber; sollte Dir nicht eine andre Aufschrift einfallen und vielleicht mehr von Herzen kommen als diese schrecklichen 3 Titulaturen? so ungefähr: » – – [«] doch will ich Deiner Liebenswürdigkeit nicht vorgreifen und geduldig (!) auf Deinen nächsten Brief warten, der doch [2r] vielleicht eine andre Liebesbezeichnung bringt. –

Daß Du Dich langweilst, thut mir recht leid, hier langweile ich mich auch, da ich nicht zum Arbeiten komme.

Besuche, Besorgungen, Familien und Verwandtensumpf gehören für mich zu den schrecklichsten aller Schrecken; dazu die Sehnsucht nach Dir, mein süßes Herz; Sehnsucht gehört bekanntlich nicht zu den behaglichsten und wonnevollsten Gefühlen, der Gedanke, daß ich Dir fern bin und mich von Dir gerade in dem Augenblicke trennen mußte, wo ich die volle Versicherung Deiner mich so beglückenden Liebe erhielt, ist sehr bitter, so bitter, daß es im [2v] [vertikal:] Juli wohl einer großen Portion Zuckerstoff bedürfen wird, um diesen bittren Geschmack in einen süßen zu verwandeln. Also ruhig abwarten!

Wenn Du mir schreiben willst, hierher adressirte Briefe erreichen mich sicher, Du kannst darin ungenirt schreiben, was Du willst, meine Leute sind so weit gezogen von mir, um Briefe an mich nicht zu öffnen. Wenn ich irgend Zeit finde, schreibe ich Dir von Rom ein Paar Zeilen. Leb wohl, mein süßer Engel! Behalte mich lieb u. nimm einen herzlichen Gruß und Kuß

von

Deinem

RichardStr.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Pierpont Morgan Library, Dept. of Music Manuscripts (New York), Signatur: Heineman MS 272 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: 2011-06-22

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in J. Rigbie Turner, »Richard Strauss to Caecilie Wenzel: Twelve unpublished letters«, in: 19th [Nineteenth] Century Music, Bd. 9 (1985-6), 1986, S. 163–75, S. 163–75.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01736 (Version 2023‑06‑15).