Brief
Richard Strauss an Cäcilie Wenzel
Freitag, 28. Mai 1886, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/3 Aus Italien

[1r]

Meine süße, liebe Cäcile!

Von meiner fünfwöchentlichen, wundervollen italienischen Reise letzten Sonntag zurückgekehrt, finde ich Deinen lieben Brief vor und benutze die erste freie Stunde, ihn zu beantworten. Dir genaueres von all den Herrlichkeiten des gelobten Landes u. meinen schönen (wie auch teilweise unangenehmen) Erlebnisse dort zu erzählen, muß ich mir auf die Zeit versparen, wo Du hier sein wirst, denn ich könnte Bücher schreiben darüber, was ich alles gesehen habe. Ich war im Ganzen 13 Tage in Rom, ebenso viele in Neapel u. Umgebung gewesen, 4 Tage in Florenz, je einen in Mailand u. Comersee, wo ich die Villa unseres Herzens besuchte, über den Gotthard, Vierwaldstättersee u. den herrlichen Rigi zurück. Daß man jedoch nichts rascher satt bekommt, wie [1v] das Vergnügen, habe ich hier gesehen, ich freute mich sehr wieder nach Hause u. besonders auf meine geliebte Arbeit, die allerdings jetzt fast zu reichlich vorhanden ist. Ich thue nun auch den ganzen Tag nichts andres als Arbeiten, und finde, daß dieses doch die größte Befriedigung gerührt. Doch, wie geht es Dir mein Schatz! Daß Du mich noch liebst, muß ich wohl annehmen, wenn auch Deine lieben Briefe nicht’s dergleichen enthalten, der letzte Brief eröffnet mir sogar fast die Aussicht, als ob Du vor hättest, Deinen mir so fest versprochenen Besuch von München aufzugeben. Ich möchte Dich dabei nur daran erinnern, daß ich in meiner gewissen Haft in Meiningen nur unter der Bedingung dicht vor Thorschluß Dich verlassen habe, [2r] weil Du fest Deinen Münchner Besuch zugesagt hattest. Ich bin den ganzen Sommer hier, bis auf 5–6 Tage, die ich Ende Juli oder Anfang August auf den Besuch von Baÿreuth verwenden muß. Wann beginnt Deine Arbeit? Meine hiesige Stellung beginnt mit dem 12. August u. kann ich mich von da ab Dir nicht mehr in dem ausgedehnten Maße widmen, wie vorher, doch ist’s mir gleich, wann Du kommst. Acht bis 14 Tage wirst Du wohl für Deinen Liebsten herausbekommen, Gesangsstudien kannst Du hier ja auch machen, eine Privatwohnung werde ich Dir für diese Tage besorgen; daß Du während dieses hiesigen Aufenthalt’s so weit als möglich mein Gast sein wirst, [2r] ist selbstverständlich. Du kannst mich dafür zu gewissen außergewöhnlichen Stunden zu Dir zu Gast laden – d. h. wenn es Dir noch Vergnügen machen sollte – wenn Du mich noch so liebst, wie in Meiningen. Darf ich das hoffen? U. A. w. .g.

Daß sich Dein Engagement in Straßburg nun doch noch gemacht hat, freut mich außerordentlich u. gratulire ich von Herzen.

In der sicheren Hoffnung, recht bald von Dir ein Paar – süße Zeilen zu erhalten, küßt Dich im Geiste aufs innigste

Dein

RStr.

[kopfstehend:] Anfang Juli ist hier das Ludwigsfest mit einem großen Festzug, der ganz außerordentlich zu werden verspricht!1

1Nachträgliche, auf dem Kopf stehende Ergänzung am oberen Seitenrand.
verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Pierpont Morgan Library, Dept. of Music Manuscripts (New York), Signatur: Heineman MS 272 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: 2011-06-22

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in J. Rigbie Turner, »Richard Strauss to Caecilie Wenzel: Twelve unpublished letters«, in: 19th [Nineteenth] Century Music, Bd. 9 (1985-6), 1986, S. 163–75, S. 163–75.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d01766 (Version 2021‑04‑12).

Versionsgeschichte (Permalinks)