A.S.
»Tagesgeschichte. Musikbriefe. Zürich«
in: Musikalisches Wochenblatt, Bd. 43, Jg. 28, Donnerstag, 21. Oktober 1897, S. 580

relevant für die veröffentlichten Bände: III/7 Till Eulenspiegels lustige Streiche
[…]

Ein anderes Bild lieferte der »Till Eulenspiegel« von Richard Strauss, der mit wiederholtem, intensivem Beifall begrüsst wurde. Wie viel von der Zustimmung des Publicums der ganz vorzüglichen Ausführung und wie viel dem Werke selbst gegolten hat, war nicht zu ermitteln; jedenfalls aber pflegt eine Ablehnung sich nicht in dieser Weise zu äussern. Kein Zweifel: wer in Bezug auf musikalische Bildung auf dem Laufenden sein will, darf an Richard Strauss, dem modernsten und jedenfalls genialsten unter den Modernen, nicht vorübergehen, sondern muss versuchen, in Minne oder in Fehde sich mit ihm auseinander zu setzen. Eine starke künstlerische Persönlichkeit und ein ungewöhnliches Gestaltungs-Vermögen sprechen aus seinen Werken, in denen die grösste Mannigfaltigkeit durch einen kraftvollen Willen zur Einheit gebändigt ist. Im vorliegenden Werke ist diese Einheit im musikalischen Sinne erreicht durch den inneren Zusammenhang von Prolog und Epilog und durch die bis zum letzten Verhängniss [sic] sieghafte Behauptung der beiden »Eulenspiegel«-Motive, die in humorvollem Ueberschwang sich über alle, durch die breiteren volksthümlichen Themen dargestellten Hemmungen der bürgerlichen Sitte und Beschränktheit hinwegsetzen. Daneben oder darüber steht, ebenso wie im »Don Juan«, die poetische Einheit des »Uebermenschen«, der hier wie dort nur dem eigenen Sittengesetze gehorcht und die rücksichtslose Betonung der Persönlichkeit als Selbstzweck verfolgt. In der virtuosen Zuspitzung auf das Persönliche liegt das Bestechende, aber wohl auch das Vergängliche der Strauss’schen Kunstrichtung; jedenfalls aber fordert die souveräne Beherrschung der denkbar complicirtesten Formen und die zu merkwürdiger Anschaulichkeit gediehene Situations-Malerei die lebhafteste Bewunderung heraus. Strauss erinnert in Manchem an Berlioz: er ist weniger genial, aber talentvoller und raffinirter. […]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Schenk, Stefan

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43362 (Version 2025‑06‑04).

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