[4] Am kirchlichen Buss- und Bettage dürfen keine Theatervorstellungen stattfinden und für die Concerte muss ein ernstes Programm aufgestellt werden. Jener Umstand kam der Königlichen Capelle zugute, denn sie fand dadurch Zeit zu einem ihrer Symphonieconcerte; dieser aber war ihr störend, denn es sollte das lustige Orchesterstück: »Till Eulenspiegel« von Richard Strauss zum erstenmale gespielt werden. Da gab man ihm denn die solide Bezeichnung »Symphonische Dichtung« und führte es dann zur höchsten Ergötzung des Auditoriums aus. Man braucht das nicht gerade besonders löblich von der königlichen Capelle zu finden, die mit dem Werke ja füglich bis zur fröhlichen Weihnachtszeit oder bis zum lustigen Carneval warten konnte, denn wenn ein Gesetz einmal da ist, so muss es auch gehalten werden, von einem »königlichen« Institute zumal. Der »Till Eulenspiegel« aber ist ein ganz vortreffliches und eigenartiges Werk. Es lehrt, dass das Ausdrucksgebiet des Orchesters bisher noch nicht völlig bebaut war. Nicht nur in der Kunst des Instrumentirens können sich Musiker durch das Studium dieser Partitur wesentlich fördern, sie lernen auch, wie man in Farben, Figuren und Rhythmen den Uebermuth und den Spott ausdrückt. In Bezug auf Tonmischung und krause Vielgestaltigkeit ist die Erfindung des Tonsetzers ungemein reich, und dabei bleibt die Musik doch durchsichtig, wie es ihr lustiger Charakter verlangt. Es ist dem Werke auch gewissermassen ein historisches Gepräge gegeben, indem deutsche Volkslieder, die zu Eulenspiegel's Zeit noch lebendig waren, in seine Schelmenmusik hineintönen. Den Ausführenden bietet die Composition ungewöhnliche Schwierigkeiten, doch die Capelle spielte unübertrefflich. Es schien aber, als ob sie ihre Kräfte für die Neuheit aufgespart hätte, denn Brahms' kunstvolle Variationen über ein Thema von Haydn, die vorangingen, kamen nicht zu voller Geltung.
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