A. Fr.
»Wiener Konzertbericht.«
in: Neue Musik-Zeitung. Illustriertes Familienblatt, Jg. 22, Heft 6, 1901, S. 73–74

relevant für die veröffentlichten Bände: III/7 Till Eulenspiegels lustige Streiche
[73] Wiener Konzertbericht.

Richard Strauß, königl. preuß. Hofkapellmeister, leitete persönlich im großen Musikvereinssaale eine Aufführung seiner viel und heftig bestrittenen, in den Himmel erhobenen und in die Hölle gewünschten Tondichtungen, seiner komplizierten Programm-Musiken. Das Orchester war das verstärkte Münchner Kaim-Orchester. Als erste Nummer stand auf dem Programm: »Till Eulenspiegels lustige Streiche, nach alter Schelmenweise in Rondoform für großes Orchester. Großes? – größtes – allergrößtes Orchester.« Das Stück war nicht ganz neu für Wien. Die Philharmoniker hatten es bereits unter Hans Richter – exekutiert. Die jüngste Exekution gefiel dem beifallsfreudigen Publikum viel besser als der nergelnden Kritik. Es ging bereitwillig auf alle hübschen Klangscherze des Ueber-Berlioz ein und las eifrig in dem Erläuterungsbüchlein mit, was das alles bedeute! Wir dachten manchmal an des alten Grabbe vegessenes Zerr-Lustspiel: »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung.« Ob das nicht das richtigste Programm wäre für Strauß’ Schelmenstück?! Es hat ja schließlich einen gesunden, echt volkstümlichen Kern und ist eine frische, kecke Sache, bald pudelnärrisch, gleich darauf tief-traurig, aber echt deutsch immerdar in Spaß und Ernst. Strauß ist ein feiner Meister des Orchesters, der Instrumentation. Richard Wagners Partituren sind die Einfachheit selbst gegen das »Tongeknäuel« des »Eulenspiegel«. Unglaublich neue Klangeffekte holt er frei schöpferisch aus den Instrumenten heraus. Das scheint kaum mehr zu überbieten und doch wird es von ihm selbst weit überboten im »Heldenleben«. Hier vermögen wir nur schaudernd zu bewundern. Welch grauenvolle Ohrenmartern uns hier zugemutet wurden, ist nicht zu schildern. Wir glauben ernstlich, das geht den Musik-Referenten weiter nichts an, denn es ist wahrhaftig keine Musik mehr. Ein Instrument prügelt das andere. Steht da wirklich noch etwas in der Partitur – oder spielen die Leute fortissimo, prestissimo, fiedelnd, tutend ad libitum aufeinander ein? Da so viele das zu bewundern, zu verstehen vorgeben, wird es vielleicht zu begreifen sein. Wir, die wir nach unserer musikalischen Bildung und Erziehung anderes, ganz anderes unter Musik bisher begriffen und verstanden haben, gestehen nur seufzend ein: »Es gefiele uns vielleicht, wenn wir andere Ohren hätten.« Auch hier ist eine Erläuterung von nöten, ein Wattepfropf noch mehr. »Der Held« ist der Kakophoniker selbst. »Des Helden Widersacher« machen ihm das Leben schwer. »Des Helden Gefährtin« tritt mit einem krausen Geigensolo vor. »Des Helden Walstatt« ist auch die unserige. »Des Helden Friedenswerke« sind ein thematischer Katalog der Straußschen Tondichtungen: »Don Juan« – »Zarathustra« – »Don Quixote« – »Macbeth« – »Guntram« – »Till«. »Des Helden Weltflucht und Vollendung« beschließt das ungeheuerliche Werk. Herr Richard Strauß sollte seinen abgeschmackten Kommentator belangen; er macht ihn nur einfach lächerlich in Vers und Prosa mit Erläuterungen, wie er sie giebt. – Frau Strauß sang mit kleiner, lieblicher, ansprechend gebildeter Stimme einige Lieder ihres Gemahls, von denen der »Traum durch die Dämmerung« am besten gefiel. Richard Strauß als Begleiter am Klavier entzückte; so haben wir noch nie vorher accompagnieren gehört, so maß- und geschmackvoll, diskret und sicher, feinfühlig vorahnend, hilfsbereit, frei, bei aller Korrektheit. Als Dirigent ist Strauß mehr beschwichtigend und beruhigend, mildern, dämpfend, mäßigend, als anfeuernd und aufstachelnd. Den »Guntram«, die Schlußnummer, haben wir nicht mehr angehört. Zerschmettert schleppten wir uns heim, wie Beckmesser: »Zerschlagen und zerprügelt, daß kein Schneider mich aufbügelt«… Rasch noch ein paar wichtigere Konzerte absolviert. […]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Schenk, Stefan

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b45871 (Version 2025‑06‑04).

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