J. S. [Sittard, Josef]
»Fünftes Philharmonisches Concert.«
in: Hamburgischer Correspondent, Bd. 12 (Abend-Ausgabe), Jg. 168, Samstag, 8. Januar 1898, Rubrik »Theater, Kunst und Wissenschaft.«, S. 4

relevant für die veröffentlichten Bände: III/7 Till Eulenspiegels lustige Streiche
[4] Fünftes Philharmonisches Concert.

Das gestrige Concert begann mit der prächtigen Mozart’schen Symphonie in D-Dur ohne Menuett, die im Jahre 1786 entstand. Die Symphonie gehört auch zu jenen Werken, denen die Zeit nichts anzuhaben vermag und die immer von neuem die Hörer entzücken. Als zweite Nummer stand auf dem Programm die symphonische Dichtung »Till Eulenspiegel« von Richard Strauß, jene geniale musikalische Burleske, die uns vor zwei Jahren die Berliner Philharmoniker zum ersten Mal vorführten. Herr Prof. Barth hatte das Werk ausgezeichnet einstudirt und die Partitur so in sich aufgenommen, daß er sie auswendig dirigirte. Wir sind seinerzeit auf die Tondichtung näher eingegangen, so daß wir uns heute in unseren Ausführungen um so mehr beschränken können, als wir in unserem Programmbuch eine eingehende Analyse gegeben haben, die den Intentionen des Componisten vollständig entspricht. Richard Strauß hat gestern auch in der Philharmonie einen Sieg errungen; einige Zischversuche wurden gleich im Keime erstickt durch den einmüthigen Beifall, den die Burleske fand. Denn mehr will das in Rondoform gehaltene Stück nicht sein. Man kann uns freilich entgegenhalten, daß ein Mozart z. B. im letzten Satz der D-Dur-Symphonie einen feineren Humor und zwar mit ganz einfachen Mitteln entwickele, als Richard Strauß mit seinem ganzen Apparat. Man darf nur zwei so ganz heterogene Naturen und Richtungen miteinander nicht vergleichen und namentlich die Entwickelung der Musik nach der mehr virtuosen Seite nicht verkennen, die sie seit Berlioz und Liszt genommen hat. Mozart ist ein großer Meister, einer der wenigen Auserwählten im Reiche der Kunst, ein Herzenskündiger; Strauß eine Specialität, ein Product der ganzen Zeitrichtung, eine interessante Erscheinung, ein hochbegabter Künstler, der die Musik bis hart an die Grenze ihres Ausdrucksgebiets geführt hat. Mozart ist ein Erfinder, Strauß ein Klügler, eine reflective Natur, aber in seiner Art ein geistvoller Musiker.

Das Orchester hat sich gestern mit Ruhm bedeckt, denn die Ausführung der Tondichtung stellt, wie das Strauß in seinen Werken überhaupt thut, die größten Ansprüche an die Künstler. Eine ganz ausgezeichnete Leistung war übrigens auch die Wiedergabe der Anakreon-Ouverture, die einen Sturm des Beifalls hervorrief.

[…]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Schenk, Stefan

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b45880 (Version 2025‑06‑04).

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