Hatte Richard Strauß in seinen großen Orchesterwerken bisher ausschließlich poetischen Ideen hochernsten Gehalts musikalischen Ausdruck verliehen, so liegt in dem als opus 28 nunmehr erschienenen Orchesterstück »Till Eulenspiegels lustige Streiche« – wenn wir von der Burleske für Klavier und Orchester op. 17 aus naheliegenden Gründen einmal absehen – seine erste größere Komposition heiteren, oder richtiger humoristischen Charakters vor. Des Komponisten ursprüngliche Absicht war es, die Figur des volksthümlichen Schalksnarren zum Mittelpunkt einer (zweiaktigen) komischen Oper mit stark satirischer Tendenz zu machen; dabei sollte, soweit eine Verquickung beider Stoffe als künstlerisch zulässig erschien, die Sage von den Schildbürgern in den Kreis der Eulenspiegelschwänke mit einbezogen werden. Aus welchem Grunde der Komponist, der mit der Schaffung der musikalisch so überaus prägnant charakterisirten Figur des Narren in seinem Musikdrama »Guntram« eine starke humoristische Ader hatte erkennen lassen, sodaß man bezüglich eines Bühnenwerkes mit ausgesprochen komisch-satirischen Inhalte hohe Erwartungen zu hegen allen Grund hatte, von der Ausführung dieser Idee schließlich doch abstand, möge dahingestellt sein: sicher ist, das [sic] wir in »Till Eulenspiegels lustige Streiche« gewissermaßen den musikalischen Niederschlag aus der eingehenden Beschäftigung des Komponisten mit dem alten Volksbuche vom Till Eulenspiegel, sowie mit den überkommenen Erzählungen über die Schildbürger vor uns haben, der um so interessanter ist, als er sich uns in einer Form darbietet, die der »Anarchist« der modernen Musik, wie ein Hypergeistreicher Richard Strauß sehr geschmackvoll einmal nannte, nach aller Welt Meinung längst »überwunden« hatte, in der Form des Rondos nämlich. Freilich, wer nun mit Metermaß und Elle die sorglich abgezählten Taktgruppen von Hauptsatz, Seitensatz, Coda und wie die Stücke eines wohlanständigen Rondos nach vorschriftsmäßigem Rezept sonst alle heißen, aus der Strauß’schen Tondichtung herausmessen wollte, würde wohl ebenso wenig seine Rechnung finden, wie derjenige, der etwa vermeinen sollte, mit der »alten, bewährten« Form habe der Komponist auch wieder in das Fahrwasser des alten gediegenen Generalbasses eingelenkt und alle harmonischen »Extravaganzen« vermieden; schon im 12. und 13. Takte würden ihn die kleinen Läufe der getheilten Violinen in kreuzfidelen Quinten und Oktaven eines andern belehren. Nun, und der Komponist deutet auch im Titel seines Werkes ja selbst an, daß ihm bei der Konzipirung des letzteren der Schelm die Feder geführt habe; man darf also von vornherein auf allerhand Scherze und Ueberraschungen gefaßt sein.
Die Orchesterbesetzung in dem Stücke ist folgende: stark besetztes Streichquintett, kleine Flöte, drei große Flöten, drei Hoboen, englisch Horn, eine D- und zwei B-Klarinetten, Baßklarinette, drei Fagotte und Kontrafagott, vier E-Hörner und drei F-Trompeten (denen vier D-Hörner und drei D-Trompeten ad libitum hinzugefügt werden können), drei Posaunen, Baßtuba und Schlagzeug (mit Becken, Triangel und großer Ratsche). – Ein Programm ist der Partitur nicht beigefügt; durch die Plastik des motivischen Materials und seine Verarbeitung aber, sowie nicht minder durch die subtile, überaus witzige Orchestration, welche den Themen eine noch bedeutend gesteigerte Ausdrucksfähigkeit verleiht, werden in der Fantasie des Hörers gar bald die ihm längst bekannten Bilder und Episoden lebendig, deren Komik vordem im Geiste des Komponisten die adäquaten musikalischen Gestaltungen auslöste.
[579] Ein starker Zug des Volksthümlichen geht durch das Ganze; die Sphäre, welcher der Tondichter seinen Vorwurf entnahm, ist deutlich charakterisirt in den Einleitungstakten:
Es ist gewissermaßen das »Es war einmal«; daß es sich aber in dem, was nun folgt, nicht um liebliche, anmuthige Märchenpoesie, sondern um einen etwas derberen Stoff handeln wird, verräth schon die charakteristische Fagottfigur (Ia), welche in das Piano der Streicher sforzato hineinklingt. Gleich wichtig für die Entwicklung des Musikstückes wie dieses Einleitungsthema ist das sich unmittelbar anschließende launige Hornthema
welches zum Tremolo der getheilten Violinen erklingt, erst ruhig beginnend und allmählig lebhafter werdend, dann noch einmal im vollen Zeitmaß. Die Oboen nehmen dies Thema – wenigstens den Kern desselben, als welcher die dreimal verschieden rhythmisirte Notengruppe c, f, g, gis, a erscheint – auf, dann die Klarinetten, hierauf Bratschen, Violoncelli und Fagotte, und schließlich führt das volle Orchester (ohne Trompeten und Posaunen) nach wenigen crescendo-Takten zu einem Halbschluß, zu einer Fermate ff auf c. Das thematische Material ist der Hauptsache nach festgestellt, das »Milieu« gegeben, aus dem heraus die Schwänke und Possenstreiche zu verstehen sind, die der durchtriebene Ränkeschmied nun vor unseren Augen, – oder vielmehr unseren Ohren vollführen wird.
Da ist er schon:
Er wandert durch’s Land dahin (4), ein rechter Abenteurer (4a)
Seine Kleider sind zerfetzt und zerschlissen: in den Hörnern erscheint das Eulenspiegelmotiv (3) seltsam zerstückt. Nach einem lustigen Spiel mit diesem wichtigen Hauptmotiv, das zunächst zu einem kurzen, glänzenden Tutti führt, dann in der ersten Flöte abermals anhebt und schließlich in ein leises, spannendes Tremolo der Bratschen mündet, erscheint dasselbe Motiv graziös rhythmisirt nacheinander in den Bässen, der Flöte, der ersten Violine und abermals in den Bässen: der Schelm kommt, gar höflich duckmäusernd das Thor passirend, in eine Stadt. Es ist gerad’ Markttag; da sitzen die Weiber und klatschen (Flöten, Oboen, Klarinetten). Hopp! springt Eulenspiegel zu Pferde (Passage in hurtigen Sechzehnteltriolen durch drei Takte vom tiefen d der Baßklarinette bis zum höchsten a der D-Klarinette), ein Peitschenhieb, und mitten hinein in den Haufen! Klirr, ritsch, ratsch! giebt das ein wirres Durcheinander von Kannen, zerbrochenen Töpfen und fluchenden Marktweibern! Schleunigst reißt der Missethäter aus (köstlich illustrirt dies die fortissimo-Episode in den Posaunen) und sucht ein sicheres Versteck.
»Dieses war der erste Streich; doch der zweite folgt sogleich:«
Eulenspiegel hat sich in ein Priestergewand gesteckt und thut gar salbungsvoll. Aber dem Moralprediger schaut doch der Schalk aus den Falten des Mantels (die Klarinette deutet schelmisch das Eulenspiegelmotiv an). Indessen die Sache könnte doch einmal schief ablaufen! Diese Figur
läßt darauf schließen, daß es ihm nicht ganz geheuer ist in dem Spottgewande. Aber bald hat er die Bedenken überwunden; fort mit allen Skrupeln! Er schüttelt sie ab (Solovioline glissando).
Im vorherigen lebhaften Tempo (6/8) tritt abermals das Eulenspiegelthema (3) auf, diesmal in geschmeidiger Umformung und mit chevalereskem Anstrich. Eulenspiegel wird gar zum Don Juan und stellt hübschen Mädchen nach:
Und weiß Gott! eine hat’s ihm angethan; Eulenspiegel [580] ist verliebt! Man höre nur, wie Violinen, Klarinetten und Flöten liebeglühend singen:
Aber vergeblich! Schnöde wird er abgewiesen, und wüthend geht er von dannen. Wie kann man ihn nur so geringschätzig behandeln! Ist er nicht ein stattlicher Kerl? (8)
Rache dem ganzen Menschengeschlecht! Als er sich so recht in Zorn geredet hat ( der unisonen Hörner ), da nahen plötzlich fremde Gestalten:
Eine Schaar biederer, würdevoller Philister! Mit einem Schlage ist aller Zorn vergessen! Ist es doch gerade sein Hauptgaudium, diesen Herren und Beschützern der tadellosen Wohlanständigkeit gehörig mitzuspielen und sie zu foppen: in den Hörnern, Violinen, und Violoncelli, dann auch in Trompeten, Oboen und Flöten erscheinen lustig accentuirte Fragmente des Themas No. 2. Und nachdem Eulenspiegel sein Müthchen gekühlt, geht er davon, die Herren Professores und Doktores in gar tiefsinnigen Betrachtungen zurücklassend: Fragmente aus No. 9 werden canonisch verarbeitet. Plötzlich werfen Holzbläser, Violinen und Trompeten das Eulenspiegelthema in der Urgestalt (3) in diese tiefgründige Philosophie hinein; es ist als ob der überlegene Schalk den Zopfträgern noch von weitem eine Grimasse schneidet, und nochmal! und nochmal! und dann eilt er leichtfertig von dannen. Treffend charakterisirt dies eine kurze Episode in hüpfendem Takt (as dur), welcher, ähnlich wie vorhin dem ersten Auftreten des Thema’s No. 6 merkwürdig schelmenhafte Klänge in den Holzbläsern und Streichern, dann auch in Posaunen und Hörnern folgen. Ahnt unserm Schelmen abermals nichts Gutes?
Mit dem von der Trompete und dem englisch Horn leise angedeuteten Thema No. 1 verschlingt sich eine aus Thema No. 2 entwickelte Figur,
welche zuerst in der Klarinette auftritt und auszudrücken scheint, daß der Erzschelm im Eulenspiegel wieder die Oberhand gewinnt und er das alte Leben von neuem anfängt. Wir sind also, formell betrachtet, bei der Wiederholung des Hauptsatzes (Thema 2) angelangt. In aller Lustigkeit wandert Eulenspiegel dahin, überall lugend, wo er einen Schabernack ausführen kann. Sein Uebermuth kennt keine Grenzen. Da, o weh! ein jäher Riß in seine ausgelassene Laune! Dumpf wirbelt die Trommel; der Büttel schleppt den gefangenen Bösewicht vor’s hochnothpeinliche Halsgericht, von dem aus ihm ehern ein »schuldig!« entgegendonnert. Aber den drohenden Akkorden der Bläser und tiefen Streicher antwortet ganz gelassen Motiv 3: Eulenspiegel leugnet! Wieder tönen die drohenden Klänge, aber Eulenspiegel bekennt noch nicht; – ja noch ein drittes Mal leugnet er keck! Dann aber ist’s vorbei. Angst packt ihn. Gar jämmerlich erklingt das Motiv No. 6; das Verhängniß naht, Eulenspiegels Stündlein hat geschlagen! Was verkündet der eherne Septimensprung f-ges abwärts in Fagotten, Hörnern, Posaunen und Tuba anders, als »den Tod!« Und wahrhaftig da baumelt der arme Teufel schon! Noch ein letztes Zappeln (Figur in der Flöte) und seine Seele ist entflohn.
Nach den letzten trauer- und schauervollen Pizzicati der Saiteninstrumente hebt der Epilog an, zunächst ziemlich notengetreu die Einleitungstakte (Beispiel 1) des Ganzen repetirend, dann die wesentlichsten motivischen Gebilde aus No. 2 und 3 wiederholend und endlich in den leisen, von Holzbläsern und getheilten Violinen gehaltenen Sextakkord von As-dur mündend: Eulenspiegel ist zur Legende geworden; das Volk erzählt sich von ihm: »Es war einmal….« Aber ein lustiger Schalk und rechter Teufelskerl war er halt doch! scheinen die abschließenden acht Takte fortissimo des vollen Orchesters zu sagen!