Deutsche Wacht, A.-G.
Fernsprechamt III Nr. 4089.
Circusstraße Nr. 37
Liebster Freund,
das war groß gedacht und edel gehandelt: ich übersehe Deinen Geburtstag, oder vielmehr ich sehe ihn erst so spät, daß ich schon nicht mehr gut mit Anstand mehr gratuliren kann, und Du sammelst mir dafür feurige Kohlen auf mein Haupt, indem Du mir nicht nur einen ganz unerwarteten lieben und ausführlichen Brief alsbald widmest, sondern auch mir Deine Partitur zum »Eulenspiegel« so herzlich zueignest! Wie soll ich Dir nur beschreiben, wie für die hohe Ehre, die Du mir da in aller Stille so treu und sinnig zugedacht, doch noch von der unendlichen Freude übertroffen wird, mich Dir so innig dauernd verbunden zu wissen? Nichts lieberes fürwahr hätte mir geschehen können, und was soll ich’s auch leugnen, daß ich stolz bin darauf, meinen Namen mit der Geschichte Deines aufgehenden Sternes auf diese Weise auch äußerlich für die Musikgeschichte, der Du den Deinen nun einmal mit Lapidarschrift eingegraben hast, verknüpft zu sehen! Und wenn Du mich bei dieser Gelegenheit so nett Deinen »getreuen ersten –aner« nennst, so hättest Du getrost diese Endsilben auch gleich mit h schreiben [1v] können, denn zweifellos war es mein allerschönster Brief in all’ dem Geschreibsel, das mir zugefallen hier auf Erden, Deinen Genius in hingebender, wärmster Liebe frühzeitig »geahnt« zu haben – kein Verdienst, sondern ein herrliches Erlebnis und daraus eine ernste Mission, Prügel aus dem Wege zu räumen, der ich, wie Du weißt und für alle Zeiten von mir versichert bist, in unwandelbarer Inbrunst dienen werde. Sieh, die Sache geht so tief bei mir, daß – wärst Du uns damals in Weimar dahingerafft worden, ich wirklich nicht wüßte, ob ich nicht zugleich damit meinen eigentlichen Lebenszweck verfehlt gehabt hätte – ganz abgesehen noch davon, was so der Freund zum Freunde sagen kann: »Ich hänge an Dir!« Hätte ich nun auch sothane wertvolle Dedikation vielleicht noch lieber einer Opernpartitur »Till Eulenspiegel« eingeschrieben gesehen, so weiß ich doch, daß – was Du schöpferisch thust – Du so schaffen mußt und nicht anders thun kannst, und ich bitte Dich daher vor Allem, daß Du mich alsbald nun auch recht ernstlich in Deine Intentionen einführst – künstlerische Absichten, die ja schon in dem mir früher bereits durch Schillings mitgeteilten humoristischen Zusatz gar lustig sich ankündigen. Hast Du denn nicht vielleicht den Entwurf zum I. Akt der Oper gl. Ns., der [2r] (nach Klatte) bereits fertig vor lag, noch im Besitze und magst Du mir wohl näher mitteilen, was Dich von der Oper zum Orchesterstück abgebracht hat, bezw. ob Du wohl gar nicht mehr an eine Ausführung der ersteren denkst? Zu Goethe’s »Lila«, den fünf Liedern, zu »Zinnober«, »Rienzi« und dem Bremer »Guntram« meinen herzlichsten Glückwunsch – Klatte wußte sich über letztere Nachricht vor freudiger Aufregung ja gar nicht zu faßen; auch der um die Gesundheit so ersichtlich treu verdienten Gattin zu den bevorstehenden Münchner Gastrollen von Herzen alles Gute! Namentlich Deine anhaltende Frische und Dein famoses körperliches Befinden erfreut uns alle in Nachrichten von Dir immer aufs Neue wieder außerordentlich, und in Diesem Sinne habe ich es dann auch mit Wonne begrüßt, daß Du die Berliner Wolff-Conzerte preisgegeben hast, so sehr wenig es ja auch nach Deiner letzten Frühjahrsparole über diesen Fall schon zu erwarten war. Was mich betrifft, so bin ich mit von meiner vielen, aufreibenden Winterarbeit recht angegriffen, um so mehr als meiner guten Frau das hiesige Klima gar nicht recht bekommt und ihr leider vielfach mangelhaftes Befinden (bei gottlob prächtigem Gedeihen unsrer Kleinen) dieses letzte Jahr nur recht viel trübe Sorgen bereitet hat. Wir denken jedenfalls nach München zu kommen, aber mit dem Termin ist das [2v] nach Angabe Deiner Reisepläne so eine Sache, da ich meinen bestimmten Urlaub habe und wir überdies noch durch Wiedersehensprojekte mit nächsten Verwandten dort und zu Regensburg in Schach gehalten sind. Aller Voraussicht nach werden wir in der Zeit zwischen 10. und 24. Juli München zweimal besuchen, länger wohl um den 20.–24. dort anwesend sein. Meine Adresse ist ab 1. Juli: Regensburg bei Hild. Alfken, Ostenallee, für München die bekannte: Blüthenstraße 19I; lieb wäre es mir jedenfalls, wenn ich auch Deine einzelnen Stationen noch einmal bis dahin genauer erfahren könnte. Es sammelt sich so viel von der neust. oder jung-deutschen Musikrichtung jetzt in München an, eine Menge Ereignisse kündigst Du selbst an und sicherlich wirst nun auch Du bis auf Weiteres dort Dich fixieren lassen – sollte denn da nicht der Moment zur Gründung eines flotten, fortschrittlichen, süddeutschen Fachblattes unserer Richtung gegeben sein, sollte sich mit Aibl, Deinem Verleger, schon aus propagandistischen Geschäftsinteressen gar nichts machen lassen? Ich behaupte, daß überhaupt von Süddeutschland herauf eine ganz eigentümliche Kulturwelle kommt! Na, mündlich ließe sich das ja noch weit besser besprechen, und so schließe ich denn in dieser frohen Hoffnung, Dich wieder sehen zu dürfen, mit wärmstem Händedruck voller Dankbarkeit für die solenne Dedikation und unter den herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus in allen Treuen als Dein
aufr. Arthur Seidl.