Brief
Richard Strauss an Franz Strauß
Donnerstag, 12. November 1891, Braunschweig

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan, III/6 Tod und Verklärung

[1r]

Lieber Papa!

Leider kam ich vor meiner Abreise nicht mehr dazu, Euch zu schreiben. Gestern Abend fuhr ich mit Professor Hans Som̅er zusam̅en hierher, kam 1/2 1 Uhr an u. wohne durch Som̅ers Güte in einem sehr schönen Privathause, höchst comfortabel u. aufs äußerste liebenswürdig bewirtet, bei Som̅ers Mutter, Wolfenbüttlerstrasse 2. In Kapellmeister Herm. Riedel habe ich einen reizenden Collegen u. feinen Musiker kennengelernt, der Don Juan u. Tod u. Verkl. bereits mit seinem sehr guten Orchester auf’s beste vorbereitet hat, so daß ich heute eine sehr schöne Probe hatte. Holzbläser sind famos, die Hörner ausgezeichnet, von dem alten 70jährigen Professor Metzdorff. der noch im̅er vortrefflich sein erstes Horn bläst, habe ich zum ersten Male wieder seit langer Zeit den runden schönen vollen weichen Hornton gehört, den ich, seit Du, lieber Papa, nicht mehr blasest, allüberall vermisst habe. Technik u. Ausdauer sind bei dem alten Mann im̅er noch bewundernswert. Metzdorff läßt dich herzlich grüßen.

Stavenhagens Frau, die nach meinem Don Juan ihres Mannes Suleika [1v] singen sollte, hat heute Früh krankheitshalber abgesagt; mir scheint es aber, als ob Stav. Angst habe, hinter mir sich als Componist zu blam– ah! produziren! Nun kom̅t er allein u. als Virtuose u. spielt das Liszt Esdurconcert, dabei ist ihm wohler! Der Schlaumeier!

Riedel hat mich mit dem größten Enthusiasmus aufgenom̅en; heute Abend höre ich eine neue Oper: Lanzelot von einem Amerikaner Herman.

In Weimar geht’s recht lustig zu. Die Sache Lassens spitzt sich im̅er mehr zu, es wird wohl mit ihm nicht mehr lange gehen, da er mit Bronsart, an den Brandt u. ich uns sehr attrahiren, sehr schlecht steht. Auch Halir hoffe ich bald los [zu] werden, da er gar keinen Orchesterdienst mehr machen will u. hoffentlich seine unmögliche Stellung in W. bald von selbst aufgibt.

Bronsart hat bereits, glaube ich, mit dem Großherzog wegen des eventuellen Abschieds von Lassen gesprochen, der im̅er mehr thut, was er will, was Bronsart durchaus nicht vertragen kann. [2r] Für nächstes Jahr steht uns beinahe sicher die elektrische Beleuchtung im Theater in Aussicht. Brand hat’s durchgesetzt u. sie kostet uns nämlich die Einrichtung der Maschinen etc., doch Brandts scheuen keinen Pfennig.–

Braunschweig ist eine famose, alte Stadt, architektonisch wundervoll, wie ich’s gar nicht erwartet habe; so eine Art norddeutsches Nürnberg; herrliche Kirchen, alte Patricierhäuser.

Na, ich muß ins Theater! Gesundheitlich geht es mir ausgezeichnet.

Hoffentlich auch euch.

Tausend Grüße

Euer

R.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330, I, Strauss, Nr. 231 (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: 2018-05-17

Bibliographie (Auswahl)

  • Genannt/Verzeichnet in Günter Brosche (Hrsg.) / Karl Dachs (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen in München und Wien. Verzeichnis (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 3), Tutzing, 1979, S. 163.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02259 (Version 2023‑06‑15).

Versionsgeschichte (Permalinks)