Brief
Leo Blech an Richard Strauss
Donnerstag, 2. März 1893, Aachen

relevant für die veröffentlichten Bände: III/6 Tod und Verklärung
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Sehr geehrter Herr!

Ich bin ganz darauf gefaßt, daß Sie nach dem Durchlesen dieser Zeilen etwas von Belästigung, Zudringlichkeit, vielleicht gar Verrücktheit reden werden; und doch schreibe ich Ihnen, denn die Gefühle, die mich zum Schreiben drängen, sind so heftig, daß ich Ihnen nicht widerstehen konnte.

Zunächst einige Worte über den Schreiber dieser Zeilen. Nach Absolvierung der Schule zwang man mich, Kaufmann zu werden, was ich vier Jahre lang unter den unsäglichsten Qualen durchgehalten habe. Nachdem ich es durchgesetzt hatte, Musik studieren zu dürfen (denn ich wäre lieber gestorben, wie Kaufmann geblieben), kam ich nach Berlin auf die Hochschule, was ich allerdings nur ein Jahr unter nicht minder großen Qualen aushielt. Dann habe ich mir selbst soweit weiter geholfen, daß ich im Herbst dieses Jahres meine erste Stellung als 2. Kapellmeister antrete (vom hiesigen Stadt-Theater). Ich bin 21 Jahre alt und füge quasi als Legitimation ein Zeugnis meines Lehrers Rudorff, mit dem ich, bis auf die musikalische Richtung, ziemlich harmonierte, bei.

Ich habe jetzt einige Male Ihr Werk »Tod und Verklärung« gehört. Könnte ich Ihnen sagen, wie mich Ihr Werk ergriffen, entzückt, erregt hat. Kurz – alle Empfindungen, die ein »Mensch« hat, wenn er den Genius eines anderen zu sich reden hört, hat mich Ihr Werk durchkosten lassen. Ich habe beim jedesmaligen Anhören eine solche Menge von Begeisterung in mich aufgesogen, daß ich mir nicht mehr zu helfen weiß und nun mit diesem Schatz von jugend[79]lichem Enthusiasmus zu Ihnen komme, ihn Ihnen zu Füßen zu legen, und Sie bitte: »Nehmen Sie ihn an!« Im erblicke in Ihrem Werke den schönsten Ausdruck alles Idealen, alles Wahren und Edlen, und wenn Sie mich näher kennten, so würden Sie erst begreifen, wie ein Mensch, der so nach »Wahrheit« strebt wie im, Sie verehren und lieben muß.

So, und nun können Sie sagen: »Der Kerl ist verrückt«. Im weiß nicht, wie viel derartige Briefe Sie schon erhalten haben, und ob Sie nicht schon ziemlich abgestumpft gegen derartige Herzensergüsse sind. Ich meine nur, daß es zu den schönsten Dingen gehört, wenn in unserer prosaischen Zeit ein Mensch sieht, daß ihm ein anderer Mensch (Sie dürfen mich nicht zur Fabrikware der Natur zählen), in rein idealer und wahrer Freundschaft ergeben ist, und daß im Ihnen ein ergebener Freund bin, das werde im Ihnen in meiner musikalischen Laufbahn vielleicht beweisen können. – Hat mein Brief also irgend eine freudige Empfindung in Ihnen wachgerufen, so könnten Sie mich überglücklich machen, wenn Sie bei Gelegenheit der Zurücksendung des Zeugnisses – worum ich Sie recht sehr bitte – mir einige Zeilen gönnen würden.

Leo Blech

P. S. Bitte stoßen Sie sich nicht an meinem Namen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Unbekannt

    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Franz Grasberger (Hrsg.) / Franz Strauss (Mitarb.) / Alice Strauss (Mitarb.): Der Strom der Töne trug mich fort: Die Welt um Richard Strauss in Briefen, Tutzing, 1967, S. 78–79. (Transkriptionsgrundlage)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d03099 (Version 2023‑06‑15).

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